Wien nostalgisch – mit dem Fünfer vom Westbahnhof zum Prater

Entdecke die Wiener Seele. Die Fahrt führt durch fünf Stadtbezirke und zeigt die unterschiedlichsten Seiten der Großstadt auf.

Österreichs Hauptstadt ist sehr gegensätzlich. Es gibt ein kaiserliches, ein modernes und ein trostloses Wien. Die meisten Touristen besichtigen nur die habsburgerischen Prachtbauten entlang der Ringstraße: Staatsoper, Hofburg, Parlament, Burgtheater, diejenigen die es moderner mögen erkunden noch das Museumsquartier und die neue Architektur auf der Donauinsel. Doch wer das wahre Wien erleben will, dem sei eine Fahrt mit dem Fünfer empfohlen. Die älteste Tramlinie Wiens führt durch fünf Stadtbezirke und zeigt romantische wie triste Seiten der Großstadt auf.

Im 15. Bezirk entlang der Kaiserstraße

Meine Fahrt startet im 15. Bezirk am Westbahnhof. Oben auf Gleis 2. Im Zehn-Minuten-Takt wechseln nostalgische Straßenbahnzüge mit modernen Niederflurwagen ab. Für meine erste Fahrt entscheide ich mich für die nostalgische Variante. Vom Westbahnhof ruckelt die Bahn zunächst auf die Fußgängerzone Wiens zu: die Mariahilfer Straße. Doch sie stürzt sich nicht ins Einkaufsgetümmel, sondern schwenkt kurz vorher nach links ab in die Kaiserstraße. Benannt nach Kaiser Joseph II. verläuft diese parallel zum Gürtel. Kleine Läden, junges Publikum und Cafés säumen die Kaiserstraße. Im Haus Nr. 15, einem wunderschönen Jugendstilbau ist Wiens erste Adresse für Bergsport untergebracht. Die Bergsteigerin und Skipionierin Mizzi Langer-Kauba hat das Traditionsunternehmen gegründet und das Haus erbauen lassen. Ein paar Schritte weiter kann man bei Kaiserstuck für die Altbauwohnung Meisterwerke aus Gips anfertigen lassen.

Doch je weiter die Straßenbahn die Kaiserstraße hinunterkommt, desto ruhiger wird es. Die Tram kreuzt die Lerchenfelderstraße und folgt nun der Blindengasse. Viele Ladenlokale stehen leer, vor den Tattooläden und Sonnenstudios vertreiben sich ein paar dunkelhäutige junge Männer die Zeit. Dann geht’s im Zickzack-Kurs rechts links rechts in die Josefstädter Straße. An der Ecke zur Albertgasse liegt das Cafe Hummel, eine Wiener Kaffeehaus-Institution.

Nicht jetzt, aber bei einer späteren Fahrt kehre ich ein und genieße ein krosses Backhendl mit Kartoffelsalat und die typische Wiener Kaffeehaus-Atmosphäre. Ausgestattet mit sämtlichen in- und ausländischen Tageszeitungen und Zeitschriften lässt es sich hier prima die Zeit vertreiben. Ich genieße mein Kaffeehaus-Schmankerl und schaue den Gästen am Nachbartisch zu, die mit Freunden ihren Abend beim Kartenspielen verbringen. Wien ist herrlich gemütlich und wirkt wohltuend entschleunigend auf die gehetzte deutsche Seele.

Im Zickzack-Kurs in den 8. Bezirk

Und das ist auch das schöne an der Tram – sie sprintet nicht wie die U-Bahn von A nach B um möglichst effizient  voranzukommen, sondern sie lässt sich Zeit und zuckelt gemütlich durch den Bezirk. Am Ende der Laudongasse entdecke ich rechter Hand das ehemalige Palais Schönborn – ein städtebauliches Juwel in dem heute das Völkerkundemuseum untergebracht ist.

Hinter dem Museum liegt der Schönbornpark – winzig aber gut zum Ausruhen. Nach dem Völkerkundemuseum folgt die Haltestelle Florianigasse, eine der ältesten Gassen der Josefstadt. Sie stellt den Übergang zum 8. Bezirk da. Die Häuser werden wieder gepflegter. Ich steige aus und spaziere ein bisschen herum. An diesem hellen sonnigen Wintermorgen ist es noch ruhig. Nur ein paar Dogsitter sind unterwegs, ich studiere die Fassaden und Eingangstüren. Mir fallen die vielen Arztpraxen auf: Psychater, Internisten, Fachärzte, Zahnärzte… Eigentlich logisch, denn der Uni-Campus im AKH (Altes Allgemeines Krankenhaus) und die Medizinische Fakultät schließen sich an. Die Haltestellennamen „Spitalgasse“ und „Lazarettgasse“ sprechen für sich.
Dann öffnet sich die Gasse zum Währinger Platz und ich erhasche einen ersten Blick auf den Hundertwasserturm der Müllverbrennungsanlage Spittelau.

Noch ein weiterer rechts-links-Schlenker und die Tram hält vorm Franz-Josef-Bahnhof. Ich bin überrascht, denn dem Namen nach hatte ich kaiserliche Bahnhofspracht erwartet, doch die ist in den siebziger Jahren einem Bürozweckbau mit angeschlossenem Einkaufszentrum gewichen.

Silvestervorbereitungen

Ich bin jetzt im 9. Bezirk angelangt. Geschäftig geht’s zu am Bahnhofsvorplatz – auch an diesen ruhigen Tagen zwischen den Jahren. Die Souvenirhändler bauen ihre Buden für die Silvesternacht auf. Ich bestaune Knallfrösche, Fliegenpilze, Marzipanschweinchen, Schornsteinfeger und Kleeblätter in allen Variationen, denn ganz Wien schenkt sich in der Neujahrsnacht kleine Glücksbringer… Eine Tradition, die in Österreich noch viel mehr zelebriert wird, als bei uns. Ein paar Schritte weiter – schräg gegenüber – wirbt das Buratino mit über 150 Sorten Wodka. Auch hier wird man für die Silvesternacht fündig.

Vom Bahnhof gelange ich rasch zu Fuß zum Donaukanal. Die Straßenbahn hat eine Haltestelle direkt auf der Friedensbrücke – der „Würstel-Kebab“-Stand symbolisert für mich die für Wien typische Melange aus Nostalgie und Weltoffenheit. Denn Wien ist ein Schmelztiegel vieler Nationalitäten, jeder zweiter Wiener Bürger hat Migrationshintergrund. Serben, Kroaten, Rumänen, Bosnier, Türken und Russen drängen in die Stadt und prägen das Straßenbild – auch hinter der Brücke im 20. Bezirk (Brigittenau) und im 2. Bezirk in der Leopoldsstadt.

Die Friedenbrücke verbindet den 9. Bezirk mit dem 20. Bezirk. Die Tram fährt zunächst die Wallensteinstraße entlang und am gleichnamigen Platz vorbei und biegt später nach rechts in die Rauscherstraße ab. Im großen Bogen umrundet sie den Augarten.

Nach der Rauscherstraße wandelt sich das Stadbild. Am Tabor fällt mir zunächst zwischen zwei Wohnanlagen die Auferstehungskirche auf. Und später entlang der Nordbahnstraße weisen linker Hand viele Baukräne in die Zukunft Wiens. Das Nordbahnhof-Areal ist mit 85 Hektar Fläche  eines der größten innerstädtischen Entwicklungsprojekte. Der 2. Bezirk wird sich wandeln, der Kiosk am Nordpol wird zum Verkauf angeboten und die Rotlichtbars wirken schon jetzt etwas verstaubt.

Meine Fahrt mit dem Fünfer endet am Verkehrsknotenpunkt Praterstern. Während im Prater winterliche Ruhe eingekehrt ist, tobt das Leben im Billa-Markt im Bahnhof. Mit Einkaufswagen und Rucksäcken ausgerüstet haben alle ein gemeinsames Ziel: möglichst rasch möglichst viel einzukaufen. Es herrscht ein Riesengedränge. Der Praterstern zählt zu den Brennpunkten Wiens, deshalb ist hier die Polizei immer präsent, doch in diesem Jahr ist sie besonders aufmerksam, da mit IS-Anschlägen zu Silvester gedroht wurde. Zum Glück ist aber nichts passiert!

Tipp: Kompakte Infos zur Tramlinie 5 findet ihr unter den Streckeninfos Wien

  1. So ein lässiger Bericht über meine Heimatstadt, danke dafür!

  2. Na, diese Tour werde ich Ende April machen. Danke für die Idee 🙂

  3. GreenPixel HD

    Voll cool bis jetzt , ich freu mich schon auf die nächse Linie! 🙂

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