Mit dem 5er-Bus durch das „Land der roten Erde“

Steuerparadies? Finanzhochburg? Luxemburg hat mehr zu bieten als Geld und Banken. Esch-sur-Alzette war Europäische Kulturhauptstadt 2022 und lädt ein, die industrielle Vergangenheit des Landes kennenzulernen. In diesem Blogbeitrag stelle ich dir den südlichen Zipfel Luxemburgs vor, der das kleine Land mit Stahl und Erz reich gemacht hat und heute eine bemerkenswerte Wandlung erfährt. Begleite mich auf meiner Busreise durch das „Land der roten Erde“.

In Esch-Belval schlägt das Herz der ehemaligen Stahlregion

Bevor ich in den Bus steige, schaue ich mir Esch-sur-Alzette an. Im Escher Stadtviertel Belval stand einst die größte Eisenhütte Luxemburgs. Über 7.000 Arbeiter schufteten zur Blütezeit an den Hochöfen und Walzstraßen und stellten aus Eisenerz Stahl her… Stahl, das in den Wolkenkratzern von New York und Dubai verbaut wurde.

Die Ausmaße der Hochöfen sind beeindruckend. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um bis nach oben zu schauen… Doch die Schlote rauchen schon lange nicht mehr und auf den Plattformen spazieren heute Touristen.  Von den ursprünglich sieben Hochöfen sind zwei übrig geblieben – als Wahrzeichen und Industriedenkmal. Ein neues Stadtquartier wurde um sie herum gebaut. Die Unibibliothek gar spektakulär in die alte Halle zur Eisenaufbereitung integriert. Wo einst Arbeiter Eisenerz gewaschen, gemischt und zu Stahl gekocht haben, studieren heute junge Leute, gehen Einheimische shoppen, forschen Wissenschaftler an Zukunftsfragen. Dieser Mix aus alt und neu, Industrie und moderner Architektur fasziniert mich und er ist das Vorzeigeprojekt der Kulturhauptstadt Esch2022.

Internationale Grenzregion

Bis zur Innenstadt sind es ein Paar Minuten. Ich schlendere die Fußgängerzone hinauf zum Musée de la Resistance. Weit mehr als die charmanten Cafés und Jugendstilfassaden fallen mir die vielen Nationalitäten der Passanten ins Auge:  Kolumbianische Kinder kicken vor einer Hauswand, an der Ecke unterhalten sich Afrikanerinnen, ein chinesisches Pärchen kommt mir entgegen.

Die Grenzregion im Süden Luxemburgs war schon immer Multikulti. 122 Nationalitäten wohnen heute in Esch, 38 Prozent der Einwohner sind Portugiesen, dann folgen zahlenmäßig die Italiener und die Franzosen. „Remix Culture“ lautet denn auch das  Motto des Escher Kulturprogramms 2022, das zu Begegnungen inspirieren möchte und aufzeigen will, wie sich die ehemalige Stahlregion gewandelt hat. An Esch2022 sind neben der zweitgrößten Stadt Luxemburgs weitere 18 Gemeinden im Terre Rouge (Land der roten Erde) und im angrenzenden Frankreich beteiligt.

Mit dem 5er-Bus fahre ich jetzt in das ehemalige östliche Eisenerz-Abbaugebiet und besuche Rumelange, Tétange/Kayl und Dudelange. Dabei entdecke ich schöne Ecken und lerne einiges über die Vergangenheit der Region.

Bus fahren in Luxemburg ist gratis und so einfach

Der Busbahnhof ist bunt und farbenfroh. Die Busse kommen häufig und sie kosten nichts. Du musst nicht lange überlegen, welches Ticket du brauchst. Kein vorzeigen beim Fahrer, kein rumkramen nach Kleingeld…

Einfach einsteigen, Platz aussuchen, hinsetzen und losfahren. Und dann aus dem Fenster blicken und die Landschaft an sich vorüber ziehen lassen. Seit März 2020 ist der öffentliche Nahverkehr  in Luxemburg gratis – egal, ob in der Stadt oder auf dem Land.

Der Bus verlässt in engen Kurven Esch und arbeitet sich zur Höhe hoch, fährt an der Haltestelle Arbed`s Haff vorbei und wieder den Hügel hinunter nach Rumelange.

Rumelange: Wie das Eisenerz abgebaut wurde

Nicht weit weg vom Ortseingang befindet sich in der Rue de la Bruyère das Nationale Bergbaumuseum. Dort kannst du mit einer kleinen Grubenbahn in den ehemaligen Stollen fahren und die harte Arbeit der Bergleute nachempfinden. Die Sammlung umfasst Werkzeuge, Bergbaumaschinen und Fahrzeuge von den 1870er-Jahren bis in die 1990er-Jahre. Vor dem Museum steht eine Lokomotive mit einer Lore Eisenerz, so wie sie es damals aus dem Berg transportierten.

Aus Bauerndörfer wurden Städte mit Arbeitersiedlungen

Die Busfahrt nach Rumelange und Kayl zeigt auch sehr schön, wie sich das Aussehen der Ortschaften im Lauf der Jahre änderte. Mit dem Abbau des Eisenerzes strömten Einwanderer aus Polen, Deutschland, Italien und Portugal in die Region. Die einstigen Bauerndörfer entwickelten sich zu Arbeitersiedlungen und erhalten Stadtrechte. Rund um die Minen und Eisenhütten gesellen sich weitere Industriezweige: die erste Zementfabrik, eine Kaffeerösterei und eine Schuhfabrik für Bergleute sind Zeugen dieser Entwicklung. Die wenigsten produzieren noch heute, die Alte Schungfabrik ist jetzt Veranstaltungshalle und Museum. Logisch, dass in Rumelange auch das älteste Kino Luxemburg steht. Und wo heute der Bus lang fährt, fuhr von 1927 bis 1956 zwischen Esch, Rumelange und Kayl sogar eine Straßenbahn.

Kayl und Tétange: Neues Leben in den ehemaligen Abbaugebieten

Über 100 Jahre wurde rund um Kayl, Rumelange und Tétange Eisenerz abgebaut. In Gruben und im Tagebau. Dazu wurden Wälder abgeholzt, Erdschichten abtransportiert, ganze Berge versetzt. Nach dem Abbau blieb eine öde Mondlandschaft zurück. Doch auf erstaunliche Weise eroberte sich mit den Jahren die Natur ihr Terrain zurück… Einen guten Einblick von der Renaturierung erhältst du, auf dem 6,2 km langen Rundweg Auto-Pédestre 1 um Kayl. Er führt durch das Naturschutzgebiet „Léiffrächen“ am Nationalen Bergarbeiterdenkmal und der Mariengrotte „Leiffrächen“ vorbei. Rote Felswände, Buchenwälder und weite Flächen mit Trockenrasen wechseln sich ab.

Wären die Hinweisschilder nicht, würdest du an vielen Stellen nicht erkennen, dass hier Erz abgebaut wurde. So sehr hat sich die Natur wieder ausgebreitet. Mir kommen bei der Wanderung auch viele Mountainbiker entgegen, das Gebiet ist ein Eldorado für Trailfans.

Der Wasserturm von Dudelange

Die letzte Station meiner kleinen Busreise ist Dudelange. Hier wurde 1882 die erste Eisenhütte in Betrieb genommen. Der Bus fährt an der Pfarrkirche vorbei und hält am zentralen Platz vorm Rathaus. Von dort gehe ich bis vor zum Wasserturm. Als Wahrzeichen und Zeugnis der industriellen Vergangenheit gilt der stillgelegte und unter Denkmalschutz gestellte 56 Meter hohe Turm aus dem Jahr 1928. Acht kräftige, leicht ausgestellte Betonpfeiler tragen einen großen zylindrischen Wasserbehälter. Am Fuß des Turms steht das ehemalige Pumpenhaus, ein Backsteinbau mit großen Rundbogenöffnungen.

Beide Gebäude werden inzwischen für Ausstellungen genutzt. 2018 habe ich mir die Fotos von Edward Steichen „The bitter years“ angeschaut.

Im Kulturjahr 2022 zeigen sie die Ausstellung „Stëmme vun der Schmelz“ als Hommage an den ehemaligen Industriestandort und seine Arbeiter.

Wo haben die Arbeiter gewohnt und wie haben sich sich integriert?

Auch dazu erhältst du Antworten in Dudelange. Wenn du die alte Brücke über die Bahngleise überquerst, stehst du am Hang vorm italienischen Viertel. Das Viertel entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert zwischen der Hütte im Tal und den vielen Stolleneingängen im Berg. Hier haben sich zahlreiche italienische Arbeiter niedergelassen und im mediterranen Stil gebaut. Planlos errichtete, verwinkelte, scheinbar ineinander verkeilte Häuser, ein undurchschaubares Wegenetz mit einem Wirrwarr von Treppen, Gartenterrassen, Stiegen und dunklen Passagen machen den Charme von Klein-Italien aus. Das Dokumentationszentrum für Migrationsgeschichte (CDMH ),  das im benachbarten Bahnhof untergebracht ist, bietet Führungen durch das Viertel an und erzählt seine wechselvolle Geschichte.

Resümée

Diese Fahrt nach Esch ist ganz spontan in meine Reisevorhaben gerutscht. Beim Ideen sammeln für meine Weltreise habe ich die Kulturhauptstädte 2022 recherchiert und erstaunt festgestellt, dass Esch-sur-Alzette dabei ist. Gleich bei meinem nächsten Besuch in der Eifel habe ich dann diese Stippvisite eingeplant… super kurzfristig und spontan, so wie es mir am meisten Spaß macht. In Dudelange war ich ja schon mal…  jetzt also endlich die Fahrt mit dem 5er-Bus durchs Land der roten Erde. Diese Region fasziniert mich, weil sie ländlich und städtisch zugleich ist, Industrieorte zeigt und einfaches Arbeiterleben und so gar keine Fachwerkromantik. Ich wünsche mir, dass nicht zu viel abgerissen wird, die Orte lebendig bleiben und nicht museal werden. Und ich werde sicherlich noch einmal wiederkommen.

Service

Streckeninfo Buslinie 5 in Luxemburg durchs Land der Roten Erde

 

Start Dudelange, Gemeng oder Esch/Alzette, Gare
Ende Esch/Alzette, Gare oder Dudelange, Gemeng
Stationen 27
Länge 10,5 km, Streckenverlauf im Detail
Fahrtzeit 30 Minuten, fährt werktags alle Viertelstunde, sonntags stündlich
Einzelkarte Öffentlicher Nahverkehr ist in Luxemburg  seit 2020 kostenlos
Tageskarte Öffentlicher Nahverkehr ist in Luxemburg  seit 2020 kostenlos
Sonstiges Luxemburg Card (freie Nutzung ÖPNV Großherzogtum Luxemburg für 1 Tag + kostenloser  bzw. reduzierter Eintritt in über 90 Attraktionen/Museen). Die Tageskarte kostet 13 €.
Infos  Mobilität Luxemburg

Museen, Ausstellungen und Events 2022

Esch2022
verschiedene Programme und Veranstaltungsorte
zum Beispiel: Zusammen mit dem ZKM: Hacking Identity – Dancing Diversity bis 15. Mai
Esch2022

Kayl/Tetange, Musee vun der Aarbrecht, Musee Ferrum (Schungfabrik)
Working Class-Heroes (bis September 2022)
Linie 5 – Haltestelle Tétange „Duerf“
MUAR

Rumelange, Nationales Bergbaumuseum
Das Museum veranschaulicht die Arbeit der Bergarbeiter und zeigt Werkzeuge, Ausrüstungen und Maschinen, die zur Förderung des Eisenerzes in Luxemburg eingesetzt wurden. Highlight ist die Fahrt mit einer kleinen Grubenbahn in den Stollen.
Linie 5 – Haltestelle Rumelange „Centre Culturel“
MNM

Dudelange, CNA/Pomhouse & Wasserturm
„Stëmme vun der Schmelz“ Ausstellung zum Stahlwerk Dudelange mit Erinnerungen ehemaliger Arbeiter
bis 1. Januar 2023, freier Eintritt
Linie 5 – Haltestelle Dudelange „Gemeng“
CNA

Dudelange, Dokumentationszentrum für Migration (CDMH)
Führungen und Infos zu Klein-Italien
Linie 5 – Haltestelle Dudelange „Gemeng“
CDMH

Rundwanderung Auto-Pédestre 1 Kayl

Länge: 6,2 Kilometer
Schwierigkeit: leicht
Start/Ziel: Parkplatz am Nationalen Bergarbeiter- Denkmal („Monument National des Mineurs“) in Kayl oder Linie 5 – Bushaltestelle Kayl, „Arbed´shaff“

Auch interessant – der Minett-Trail

Durch die Naturschutzgebiete und zu den Bergwerken und Eisenhütten vergangener Zeiten führt der neue Minett Trail, ein 90 Kilometer langer Fernwanderweg. Der Rundweg in Kayl liegt zum Teil auf dem Weg.
Minett-Trail

Eigens für den Fernwanderweg sind coole Übernachtungsorte geplant: zum Beispiel im alten Verwaltungsgebäude einer Minengesellschaft, auf einer Wohninsel auf dem Bassin neben Wasserturm in Dudelange oder im ehemaligen „Polverhaus“. Die Fertigstellung der Unterkünfte verzögert sich allerdings (Stand 1. Mai 2022).

Sonstige Übernachtungen

Verschiedene Unterkünfte in Esch-sur-Alzette. Dort gibt es auch einen Campingplatz, Baumhäuser und eine Jugendherberge.

Essen und Trinken

Verschiedene Möglichkeiten in Dudelange und Esch-sur-Alzette. Da so viele Nationalitäten in der Region wohnen, gibt es eine gute internationale Küche.
Das Bistro des Nationalen Bergbaumuseums in Rumelange soll sehr gut sein.

 

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