Begegnung auf dem HW 5: „Der Weinberg ist eine Kraftquelle, die uns viel gibt.“

Die Micro-Winzer aus dem Schönbuch

Viele träumen den Traum vom eigenen Weinberg. Claudia, Uli und Nicola haben ihn wahr gemacht.  Ein Blogbeitrag über die Kirschessigfliege, schuften in der Steillage und drei Hobby-Winzer, die zum Erhalt einer einmaligen Kulturlandschaft beitragen. Ich bin ihnen auf  dem HW 5 begegnet und habe sie während der Weinlese im Schönbuch noch einmal besucht.

Weinlese im Schönbuch

Samstagmorgen, 10 Uhr im Schönbuch. Noch hängt Morgennebel über dem Ammertal: Dunstschleier zeichnen die Hügel weich und die Wurmlinger Kapelle versteckt sich im stumpfen grauweiß. Es ist ganz still, meine Schritte schrecken ein paar Stare auf, die empört kreischend aus dem Baum fliegen. „Hinter dem Spielplatz gehst du weiter, wir sind dort, wo die vielen Rosen sind“, hatten sie am Telefon gesagt. Jetzt höre ich Stimmen. Eine Treppe führt steil in den Weinberg hinauf. Nach etwa 150 Stufen bin ich auf halber Höhe angelangt und entdecke die Traubenleser zwischen den Reihen.

Breitenholz liegt direkt am Rand des Naturparks Schönbuch. Der Hauptwanderweg HW 5 schlängelt sich oberhalb der Streuobstwiesen und Weinberge am Traufrand entlang und bietet wunderschöne Ausblicke ins Ammerbuchtal.

Ich bin mit Uli und Nicola Frizlen und Claudia Schmucker verabredet. Die drei sind mir im Mai beim Wandern auf dem HW 5 aufgefallen. Damals hatten sie spontan einen Tisch am Wanderweg aufgestellt und ihren Wein vorgestellt. Leider hatte ich keine Zeit, mich länger mit ihnen zu unterhalten. Doch sie hatten meine Neugier geweckt. Ich möchte wissen, wie ein Micro-Winzer tickt und arbeitet. Und so ein Lesewochenende im Herbst eignet sich prächtig dazu.

Stiellähme und Kirschessigfliege sind die Feinde der Winzer

„Wir lesen heute sechs Gräben Prior und 3 Gräben Merlot.“ Claudia Schmucker ist eine zierliche Sechzigerin, die jünger wirkt und sich auch jünger fühlt.

Kaum haben wir uns begrüßt, legt sie los: „Schau hier, die Stiellähme muss raus.“ Stiel… bitte, was? Claudia zeigt mit der Spitze der Rebschere auf einen braunen Stiel: „Der ist krank, manchmal erkennt man es auch an den verkümmerten Beeren.“

„Wir ernten nur die Trauben, die wir auch selbst essen würden.“

Sie dreht die Traube geschickt in der Hand und schneidet zick zack die dunklen Stiele und schlechten Beeren raus. Dann hält sie mir das Ergebnis unter die Nase: „Riech mal!“ Ich schnuppere, die riechen gut. „Ja, die sind gut, duften nach Traube! Wären sie von der Kirschessigfliege infiziert, würde man das riechen, auch wenn man es noch nicht sieht.“ Qualitätskontrolle bestanden, die Trauben wandern in den grünen Leseeimer.

Stiellähme und Kirschessigfliege sind die Feinde der Winzer. Uli berichtet, dass dieses Jahr ganz verrückt gewesen sei. Spätfrost, Hagelschäden und ein viel zu nasser Sommer hätten Spuren hinterlassen. „Das schwierigste Jahr seit 2003.“

Da hilft nur sorgfältige Handauslese. Und seine Frau Nicola ergänzt: „Wir ernten nur die, die wir auch selbst essen würden. Denn wenn die Trauben schlecht sind, hat auch der Wein keine gute Qualität.“

Bei der Weinlese im Schönbuch packen Alt und Jung mit an

So ein Lesewochenende ist ein soziales Ereignis. Alt und Jung, Freunde und Familie helfen bei der Ernte. Die Großväter treffen die Enkel, die Arbeitskollegen die Freunde. Es ist eine sehr harmonische Gemeinschaft und ich spüre, dass über den Weinberg enge Freundschaften entstanden sind. Neuigkeiten werden ausgetauscht und trotzdem sind alle konzentriert bei der Arbeit. Ich bin beeindruckt. Nahezu liebevoll nehmen sie die Trauben in die Hand, begutachten sie, schneiden Schadhaftes heraus und werden nicht müde, mir zu erklären, was gut und was schlecht ist. „Wenn du es richtig machen willst, dann drehst du sie dreimal in der Hand“, erklärt Nicolas Vater. Er hat extra seine Segelhandschuhe aus der Garage hervorgekramt, weil er mit ihnen besser zufassen kann.

Mit Bio-Anbau zum Erhalt der Kulturlandschaft beitragen

Der Weinbau hat im Schönbuch eine lange Tradition, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Und die Breitenholzer Hinterhalde mit den guten Keuperböden und der exponierten Südhanglage bietet beste Voraussetzungen für gehaltvolle Weine.

„Wir arbeiten ökologisch und lassen uns gerade Bio-zertifizieren.“

Mit dem Weinberg wollen die drei Micro-Winzer zum Erhalt der einzigartigen der Natur- und Kulturlandschaft beitragen. „Wir arbeiten ökologisch und lassen uns gerade Bio-zertifizieren“, erzählt Uli. „Deshalb setzen wir bei Neuanpflanzungen konsequent auf pilzresistente Sorten (PIWI) wie Prior und Satin Noir.“ Uli ist stolz, dass er die Prior-Reben nur einmal spritzen musste. Ökoweine werden wegen der „milderen“ Mittel oft häufiger gespritzt als Rebstöcke im traditionellen Weinbau. Die Bio-Kollegen seien bis zu 20-mal gefahren, erzählt er mir. Zwischen den Reihen wächst Grün. Auch das ist eine ökologische Maßnahme. Die Begrünung schützt den Hang vor Erosion und verbessert den Boden. Ab diesem Winter werden bretonische Zwergschafe zwischen den Rebstöcken grasen und beim Mähen und Düngen helfen.

Ich begleite Nicola mit den gefüllten Eimern zum Transporter. Dort schichtet und stapelt sie die Trauben in flache Kisten. Claudias Mann übernimmt heute den Transport zum Weingut.

Idylle und Lebensglück

Doch vorher ist es Zeit für eine Kaffeepause. Butterbrezeln, Pflaumen- und Schokoladenkuchen werden aufgetischt. Alle langen zu, denn wer seit 9 Uhr im Weinberg liest, ist hungrig. Die Sonne gewinnt für einen Moment den Kampf gegen den Nebel und taucht das Ammertal in goldenes Licht.  Die Szenerie mit der versammelten Lesemannschaft am gedeckten Tisch sieht sehr idyllisch aus, perfekt wie ein Titelfoto für die Landlust.

Es steckt viel Handarbeit in der Steillage

Das Klischee des Wochenendwinzers mit fröhlicher Tafelrunde trügt. Die Lese ist nur ein Teil der Arbeit oder die „Kür“, wie Claudia sie nennt. Der Weinberg verlangt das ganze Jahr über Aufmerksamkeit: Rebstöcke wollen geschnitten, gebogen und gebunden werden, der Boden gehackt und begrünt, die Mauern und Treppen ausgebessert und instandgesetzt. Und das alles in der Steillage, wo Maschinen nicht eingesetzt werden können. Die „Freizeitwinzer“ nehmen sie die Herausforderung ernst, probieren Neues aus und wollen sich stetig verbessern. Seit über 15 Jahren arbeiten sie zusammen. Claudia hat sich das nötige Fachwissen bei einer Ausbildung zur Weinakademikerin angeeignet und sich seit letztem Jahr komplett dem Weinberg verschrieben. Uli und Nicola arbeiten weiterhin als Wirtschaftsprüfer und Architektin. Und wenn die drei einmal nicht weiterwissen, holen sie sich fachmännischen Rat bei einem befreundeten Winzer im Remstal. Trotz aller Mühen, die in dem Weinberg steckt, für sie ist er eine Kraftquelle, die ihnen viel gibt.

Im eigenen Keller werden die Weine ausgebaut

Mit der heutigen Ernte sind sie zufrieden. Weil es in Ammerbuch keine Genossenschaft gibt, erfolgt die Kellerwirtschaft im eigenen Betrieb. „Wir bauen unsere Weine sehr behutsam in Barriquefässern in einem Keller aus dem 17. Jahrhundert aus“, berichtet Uli. 90 Prozent der Kellerarbeit bestehe aus Putzen, zehn Prozent aus Nichtstun. Und mit der Butterbrezel in der Hand erklärt er mir noch, dass die Hefe der Brezel nicht mit den Trauben in Berührung kommen darf. Das würde einen unkontrollierten Gärungsprozess in Gang setzen. „An Versuche mit natürlichen Hefen aus dem Weinberg, der sogenannten Spontanvergärung haben wir uns (noch) nicht herangetraut, dazu sind wir zu klein.“

Neben Merlot und Prior gedeihen auf den Gips-Keuperböden Spätburgunder, Weißburgunder und Kerner. Auch die Weißweine stellen sie peu a peu auf pilzresistente Sorten wie Souvignier Gris und Sauvignac um. Je nach Erntejahr variiert der Ertrag zwischen 1.000 und 1.400Liter Wein.  Es sind Liebhaberweine, die mit viel Sorgfalt  hergestellt und mit ebenso viel Leidenschaft vermarktet werden. Ihre roten und weißen Cuvées und vollmundigen Sortenweine vertreiben sie direkt über das Weingut Müneck und in der Markthalle in Herrenberg. Darüber hinaus bietet Claudia handverlesene und mit viel Liebe gestaltete Weinbergführungen und Kelterbesuche mit Essen und Wein an.

PS: Ich hatte die Winzer vorher nicht gekannt und mich spontan entschieden, sie zu besuchen. Ein Telefonat genügte – und schon waren Claudia und ich uns einig, dass ich bei der Lese zuschauen darf. An diesem Samstagmorgen habe ich viel über den Weinbau erfahren und durfte die Leidenschaft und Herzlichkeit dieser Familien erleben. Das war sehr berührend. Danke dafür.

Möchtest du die Winzer mal selbst kennenlernen und den Wein probieren?

Weinevents 2023

7. bis 9. Juli 2023
Weinfest Weingut Müneck, am Wanderweg
Schönbuchspitzrunde und HW 5 unterhalb der Ruine Müneck
Fr. 15.00 – 20.00, Sa. und So. 11.00-20.00
www.schmucker-wein.de

30. Juli 2023
Teilnahme am Festival der Mini-Weingüter, Gerberei Waiblingen 14.00 – 20.00 Uhr

 

  1. Vielen Dank an Heike für die schöne und interessante Dokumentation einer Weinlese. Unsere Winzer*innen leisten eine wertvolle Arbeit und bemühen sich für hervorragende Weine, welche wir nicht nur beim Essen geniessen dürfen sondern auch dauerhaft wertschätzen sollten. es grüsst der Weinberater aus dem Markgräflerland.

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