Bei Luftalarm in den U-Bahnhof

Wenn Metrostationen zu Schutzräumen werden

Du hast sie bestimmt auch gesehen – die Fotos und Bilder von den Menschen in Kiew, die in den U-Bahnstationen Schutz vor den russischen Angriffen suchen. Alle Fernsehsender und Zeitungen zeigen die gleichen Szenen: Zusammengekauert hocken die Menschen auf den Treppen und in den Gängen. Mit Decken haben sie notdürftige Lager gebildet. Freiwillige Helfer schenken Tee aus oder verteilen Essen. Für viele ist es bereits die fünfte Nacht da unten. Sogar Babys wurden schon dort geboren.

Eigentlich wollte ich im Rahmen meiner Ideensammlung für die Weltreise 2023 etwas über die Schönheit und Prächtigkeit der U-Bahnen im Osten Europas schreiben. Das ist mir gerade nicht so einfach möglich, stattdessen ist dieser Beitrag zur Nebennutzung der U-Bahnhöfe als Schutzräume entstanden.

Das U-Bahn-System in Kiew

Die U-Bahnstationen in Kiew sind zum Schutzraum für die Bürgerinnen und Bürger, die die Stadt nicht verlassen wollen oder können geworden. 1960 wurde die erste Metrolinie eröffnet. In den 1980er und 2000er-Jahren baute man kräftig weiter und inzwischen umfasst das System drei Linien mit insgesamt 70 Kilometern Länge. Vorbild des Kiewer U-Bahnsystems ist die Moskauer Metro. Die ältesten U-Bahnhöfe in Kiew sind ähnlich prunkvoll wie die in der russischen Hauptstadt. Und die U-Bahnhöfe liegen teilweise sehr tief unter der Erde, da ihnen von Beginn an auch eine Schutzeinrichtung für Kriegszeiten zugewiesen wurde.

So gehört der U-Bahnhof Arsenalna an der M1 mit rund 105 Metern unter der Oberfläche zu den tiefst gelegenen der Welt. Bis zu 65 Meter lange Rolltreppen führen hinab.

Vorbild ist die Moskauer Metro

Die Idee, das Metrosystem als Luftschutzbunker zu nutzen, stammt aus Moskau. 1935 wurde in der russischen Hauptstadt die erste Metrolinie gebaut. Ebenfalls mit nahezu 100 Metern sehr, sehr tief unter der Erde. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es bereits drei Metrolinien und während fleißig weitergebaut wurde, fanden bis zu eine halbe Million Menschen bei Luftangriffen in der U-Bahn Unterschlupf. Läden und Friseursalons sollen eingerichtet worden sein und in der Metrostation Kurskaja gab es sogar eine Bibliothek. Die regierungstreue Webseite Russia Beyond zeigt in ihrem Beitrag „Zweiter Weltkrieg: Wie die Moskauer Metro den Kriegswirren trotzte“ Fotos und schildert Eindrücke aus der damaligen Zeit.

Heute umfasst das Metronetz in der russischen Hauptstadt zwölf Linien mit 200 Bahnhöfen. Die Moskauer Metro ist eine der schönsten U-Bahnen der Welt und die berühmte Ringlinie mit den palastartigen Bahnhöfen ist übrigens die Linie 5. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass es eine geheime Metro 2 geben soll. Ein 150 Kilometer langes Zusatzsystem, das den Kreml mit strategisch wichtigen Punkten wie dem Regierungsflughafen Moskau-Wnukowo verbinden soll, damit sich im Kriegsfalle der Führungsstab in Sicherheit bringen kann. Stalin selbst soll es in Auftrag gegeben haben. Beweise über eine solche Existenz gibt es aber nicht.

Berliner U-Bahn-Bunker

Während des Zweiten Weltkrieges suchten auch die Berliner Schutz in den U-Bahnstationen. Und bei den aktuellen Fernsehbildern aus Kiew werden so manchem aus der Kriegsgeneration Erinnerungen hochgekommen sein. Luftschutzräume gab es beispielsweise in den U-Bahnhöfen Alexanderplatz, Ruhleben, Friedrichstraße, Gesundbrunnen, Lichtenberg, Hermannplatz und Nollendorfplatz. An der U-Bahnstation Gesundbrunnen informiert das Berliner Unterwelten-Museum über geheimnisumwitterte und lange Zeit vergessene Bunkeranlagen und Tunnel und bietet Führungen an. Auch zum späteren Atomschutzbunker beim U-Bahnhof Pankstraße, der strahlungssicher verschlossen werden konnte und als Schutzraum für 3.300 Menschen dienen sollte!

Renaissance der U-Bahn-Bunker im Kalten Krieg

Aus Angst vor Atomangriffen wurden zu Zeiten des Kalten Krieges nicht nur in Berlin, sondern auch in Stuttgart, Köln oder Dortmund Schutzbunker in U-Bahnstationen errichtet. Die sogenannten Mehrzweckanlagen hatten bis zu 5.000 Schutzplätze und waren im Belegungsfall grundsätzlich jedermann zugänglich. Sie wurden durch das Bundesinnenministerium finanziert. Grund dafür war die im Kalten Krieg als realistisch bewertete Gefahr eines Krieges mit Flächenbombardierungen und dem Einsatz chemischer und nuklearer Waffen. Drei Beispiele:

Stuttgart: S-Bahnstation Rotebühlplatz/Stadtmitte

Der gesamte Bahnsteigbereich der Haltestelle Rotebühlplatz/Stadtmitte wurde als Schutzraum konzipiert. Im Ernstfall hätten hier 4500 Stuttgarter Platz gefunden. Inzwischen ist er entwidmet. Die letzten Feldbetten wurden 2014 nach NRW zur Flüchtlingsaufnahme geschickt. Weitere Informationen gibt es auf der Website des Vereins Schutzbauten Stuttgart .

Köln: Atombunker im U-Bahnhof Kalk Post

Im U-Bahnhof Kalk Post wurde die erste Zivilschutzanlage Kölns während des „Kalten Krieges“ angelegt. In der Anlage sollten in einem Konfliktfall – allerdings nur, wenn der Gegner seinen Atomschlag auch ankündigt … – 2.366 Menschen für 14 Tage Schutz finden.
Weitere Informationen: Dokumentationsstätte Kalter Krieg

DUISBURG-U-Bahnhof am König-Heinrich-Platz

Im Ernstfall hätte der U-Bahnhof am König-Heinrich-Platz in Duisburg 4500 Menschen das Überleben gesichert.

Zeitenwende

Seit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er-Jahren wurden viele Bunker-Anlagen entwidmet. Den letzten Todesstoß versetzten ihnen die Anschläge vom 11. September. 2007 entschied die Bundesregierung, öffentliche Schutzräume aufzugeben. Als Begründung führt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz auf der Webseite an: „Experten gehen heute von einem Schadenszenario ohne Vorwarnzeit aus, daher können Schutzräume der Bevölkerung keine ausreichende Sicherheit bieten.“ Neue Schutzstrategien wurden entwickelt.

Und wenn man das so liest, hört sich das auch sehr plausibel an und ich bin überzeugt, dass diese Entscheidung absolut richtig war und ist.

Noch vor 14 Tagen hätte ich den Aspekt „U-Bahnhöfe als Bunker und Schutzanlagen“ rein nostalgisch abgehakt. Kalter Krieg – ja, das war einmal … und interessant zu sehen, was man sich damals alles ausgedacht hat …

Leider zeigen die aktuellen Bilder aus der Ukraine eine andere Wirklichkeit, die so gar nichts mit touristischen Tunnel- und Bunkerführungen zu tun. Ich wünsche mir und uns allen, dass die Bewohner in Kiew bald nicht mehr in die U-Bahn flüchten müssen und auch wir niemals zum Schutz U-Bahnhöfe aufsuchen müssen.

Dies war ein Ausflug in die Nebennutzung der U-Bahnhöfe. Denn eigentlich sind sie ja dazu da, uns schnellst möglich von A nach B zu bringen. Doch schreib mir doch gerne, was du davon hältst.

 

 

 

  1. […] In der russischen Hauptstadt wurde 1935 die erste Metrolinie eröffnet. […]

  2. In Hannover und Hamburg gab/gibt es UBahnhöfe als Bunker/Unterkünfte, das war eine zeitlang während des WWII und danach üblich. Die Bahnhofsmission haben sie nach dem Krieg genutzt.
    LG
    Ulrike

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