Die Weissenhofsiedlung gehört zu meinen Lieblingsplätzen in Stuttgart. Ich habe an einem herrlichen Frühlingstag an einer Führung durch die Wohnsiedlung teilgenommen und dabei sehr viel Wissenswertes über die Bauhaus-Kultur erfahren. Und ich war verblüfft von der zeitlosen Modernität der Häuser. Begleite mich zur Endstation „Killesberg“ der Linie 5 in Stuttgart.
Die Weissenhofsiedlung in Stuttgart
Von der Haltestelle „Killesberg“ sind es nur ein paar Schritte an der Kunstakademie vorbei bis zur Weissenhofsiedlung. Sie entstand 1927 als Bauausstellung der Stadt Stuttgart und des Deutschen Werkbundes. Heute – knapp 100 Jahre später – ist die Wohnsiedlung nach wie vor eine Pilgerstätte für Architekturstudenten und Liebhaber des schnörkellosen Bauens. Täglich – außer montags – finden offene Führungen statt.
Warum gibt es diese Siedlung?
Damit wir die Hintergründe besser verstehen, lädt uns Architektin Raquel aus Spanien, zum Auftakt der Führung zu einer gedanklichen Zeitreise ein: Wie lebte es sich Mitte der Zwanzigerjahre in Stuttgart? Der Erste Weltkrieg war vorbei, die Industrialisierung schritt voran und immer mehr Automobile eroberten die Straßen. Im Talkessel herrschte schon damals schlechte Luft ;-), Wohnraum war knapp und die Gesellschaft befand sich im Umbruch.
Wohnvisionen für den modernen Großstadtmenschen
Mit einer Internationalen Bauausstellung suchte man Antworten auf die drängende Frage: Wie wohnen? Ludwig Mies van der Rohe, der 1927 Vizepräsident des Deutschen Werkbunds war, lud 17 Architektenkollegen ein, ihre Visionen für den modernen Großstadtmenschen zu präsentieren. Seinem Aufruf folgten u.a. Walter Gropius, Le Corbusier, Peter Behrens, die Brüder Max und Bruno Taut. Einzige Vorgabe, die die Architekten erhielten, war das Flachdach.
Der Standort für die Ausstellung auf dem Killesberg war bewusst gewählt. Am Modell erklärt uns Raquel, wie die Siedlung aufgebaut ist: Sie wurde terrassenförmig in den Hang gebaut, vorne stehen die Ein- und Zweifamilienhäuser, dahinter befinden sich die größeren Wohneinheiten.
Die Gebäude sind geschickt platziert, damit alle Bewohner viel Licht und Luft bekommen und den Blick auf den Stuttgarter Talkessel genießen konnten.
Ist das Klein-Arabien auf dem Killesberg?
Die Werkbundausstellung wollte natürlich auch provozieren. Dementsprechend heftig fielen die Reaktionen der Besucher aus.: die einen waren begeistert, viele fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Sahen die Häuser doch so ganz anders aus, als das, was man gewohnt war: Verzierungen, Stuck und Walmdach fehlten gänzlich.
Wegen der weißen, kubischen Häuser mit Flachdächern wurde die Weissenhofsiedlung in der Nazizeit als „Araberdorf“ verspottet. Leider sind zehn Häuser im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Lange wurde die Siedlung in Stuttgart vernachlässigt und erst in den letzten Jahren ist sie wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.
Beim Rundgang durch die Weissenhofsiedlung in Stuttgart fällt mir auf, dass es – bei aller Vielfältigkeit – doch einige Merkmale gibt, die alle Häuser auszeichnen.
Gemeinsamkeiten:
- Flachdach
- schnörkellose kubische Baukörper,
- Fenster als Lichtbänder
- Dachterrassen und Balkone,
- Lowcost in der Fertigung durch Serienproduktion von Elementen wie Fenster, Möbel etc.
Le Corbusiers „Wohnmaschine“ ist heute Unesco-Welterbe
Der provokanteste Entwurf der damaligen Bauausstellung stammt von Le Corbusier. Sein Doppelhaus zählt seit 2016 zum UNESCO-Welterbe. Es beheimatet heute in der einen Hälfte das Weissenhof-Museum; die andere Haushälfte ist im originalgetreuen Zustand von 1927 erhalten.
„Le Corbusier hat kein Haus gebaut, sondern eine Wohnmaschine“, erklärt Raquel. Vorbild für das Haus war der Zug. Die Küche hat verblüffende Ähnlichkeit mit einer Ikea-Küche von heute und – wie in einem Zugabteil – lässt sich das Wohnzimmer durch Schiebewände und Schiebebetten in mehrere Schlafzimmer umwandeln. Von der Innenausstattung und der Dachterrasse kann ich dir hier leider keine Fotos zeigen, da die Bildrechte bei der Fondation Le Corbusier in Paris liegen. Doch so viel sei verraten. Es lohnt, einen Blick in die Räume zu werfen, die Farbgestaltung ist total interessant.
Die Weissenhofsiedlung in Stuttgart ist zeitlos modern
Zum Abschluss zeigt uns Raquel noch ein Werbeplakat von 1928. Eine junge Dame posiert in einem Mercedes-Sportwagen vor dem Le Corbusier-Haus. Das Auto sieht heute ziemlich alt aus, das Haus wirkt immer noch sehr modern. Ich bin beeindruckt von der Zeitlosigkeit der Architektur. Und auch der Blick auf den Stuttgarter Talkessel ist nach wie vor grandios.
Mein Tipp: Unbedingt mal besuchen und die Führung mitmachen, dann verstehst du die Hintergründe besser.
Stuttgart Weissenhofsiedlung | Praktische Infos:
Adresse: Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier, Rathenaustraße 1, 70191 Stuttgart
www.weissenhofmuseum.de
Öffnungszeiten: Die – Sa 11 bis 18 Uhr, Sa, So & Feiertage 10 bis 18 Uhr
Führungen: offene Führungen Die-Sa um 15 Uhr, So und feiertags um 11 &, 15 Uhr,
Eintritt: 6,50 Euro, Führungen klein 6 Euro, große Führung 8,50 Euro,
Hinkommen: ab dem Hauptbahnhof Stuttgart mit der U5 bis zur Haltestelle Killesberg (3 Haltestellen, 6 Minuten Fahrt + 7 Minuten zu Fuß)
2027 findet wieder eine IBA in Stuttgart statt. Das Weissenhof-Museum bekommt ein neues Besucherzentrum. Infos zur IBA27
Das Bauhaus hat als Architekturstilrichtung weltweit Spuren hinterlassen. Auch ich begegne diesen Spuren immer wieder bei meinen 5er-Erkundungen: In Brünn, Tel Aviv oder Erfurt.
Was kannst du außerdem rund um die U5-Haltestelle „Killesberg“ entdecken?
- Den wunderschönen Höhenpark „Killesberg“
- Eine der besten Aussichten auf Stuttgart vom Killesbergturm
- Die Sportanlagen des Tennis ATP-Turniers Weissenhof
- Den legendären Stuttgarter Club „Perkins Park“