Es schneit! Erst langsam, dann immer heftiger, die Flocken purzeln nur so vom Himmel. Ich bin an diesem Freitag, den 2. März auf dem Parkplatz des Centre National de l’Audiovisuel (CNA) in Dudelange gelandet. Dudelange (deutsch: Düdelingen; luxemburgisch Diddeleng) liegt im Südwesten des Großherzogtums Luxemburg – unmittelbar an der Grenze zu Frankreich etwa auf halbem Weg zwischen der Stadt Luxemburg und dem lothringischen Thionville. Am Grenzübergang in Schengen hatte ich kurz überlegt, ob ich diesen Abstecher überhaupt noch machen sollte, denn seit einer Stunde meldeten die Verkehrsnachrichten Glatteis und Schnee für das Saarland und Luxemburg. „Wer kann, möge daheim bleiben“, warnten sie im Radio. Doch meine Neugier war so groß… ich fuhr weiter…
…und habe es letztlich gut bis zum Gelände des einstigen Stahlwerks geschafft und mein Ziel erreicht: Vor mir liegt der ehemalige Wasserturm der Eisenhütte (Schmelze), der die Fotoausstellung „The Bitter Years“ von Edward Steichen beheimatet. Der Weg zum Eingang im Pumpenhaus führt über einen Gittersteg an Wasserbassins vorbei. Es ist rutschig und glatt. Ich bin der einzige Gast weit und breit, logisch bei dem Wetter. Hat aber den Vorteil, dass Dina, die junge Luxemburgerin, mir quasi eine Exklusivführung gibt.
Runde Galerieräume im Erdgeschoss und Dachgeschoss
Die Ausstellung befindet sich im Erdgeschoss und in der obersten Etage des Wasserturms. Wir fangen unten an: Der Raum ist dunkel und rund, die Wand tiefschwarz gestrichen, nur einzelne Spotlights setzen die Schwarz-Weiß-Fotografien in Szene. Diese zeigen Einzel- und Gruppenporträts von Männern, Frauen, Kindern und Familien – meist einfache Landarbeiter, die ausgemergelt vom Hunger, der Armut, dem Elend und der Kälte trotzen.
Berühmte Schwarz-Weiß-Fotografien
Es sind die bitteren Jahre der USA, die 1930er-Jahre mit Weltwirtschaftskrise und Depression, die hier erzählt und erlebbar gemacht werden. Der Luxemburger Edward Steichen hatte die Ausstellung 1962 ursprünglich für das MoMa Museum of Modern Art in New York konzipiert und Reportagefotografien von den besten Fotografen der damaligen Zeit zusammengestellt: Dorothea Lange, Arthur Rothstein und Walker Evans. Allesamt beeindruckende Zeitdokumente, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Nach erfolgreicher Ausstellung im MoMa und anschließender Welttournee vermachte Steichen die Ausstellung dem Luxemburger Staat. Seit dem Jahr 2012 ist sie im Wasserturm von Dudelange beheimatet. Und ich finde, dass dies ein passender Ort ist.
Mit dem Aufzug gelangen wir ins Dachgeschoss, wo der zweite Teil der Fotografien gezeigt wird. Von hier oben hat man auch einen atemberaubenden Blick auf das ehemalige Stahlwerk und die Kleinstadt Dudelange. Die hiesige Stahlindustrie trug maßgeblich zum Reichtum von Luxemburg bei.
Die Schmelze, ein Ort mit Geschichte
Das Hüttenwerk ist ein Ort mit wechselvoller Geschichte, fruchtbaren und bitteren Jahren. Dessen Aufstieg begann 1882 mit der Gründung des Eisenhütten-Aktien-Vereins und erreichte ihren Höhepunkt in den 1920er bis 60er-Jahren. Nach der Stahlkrise wurde das Werk in den 80er-Jahren stillgelegt und der Hochofen gesprengt. Im Zuge des Strukturwandels wird die Industriebrache nun als kulturelles Zentrum wiederbelebt.
Dina zeigt mit dem Finger nach unten auf die Wasserbassins. „Dort links haben die Arbeiter früher gebadet. Die Kühlwasserbecken waren das Freibad des Ortes, weil das Wasser immer schön warm war.“ Ich kann es kaum glauben, doch es stimmt. Den Beweis liefert Dina unten im Außengelände – entlang der Mauer dokumentieren Schwarz-Weiß-Fotos die Geschichte der Schmelze. Ja, da ist die Eisenhütte und davor das Freibad mit den Badenden…
Doch das ist wieder eine andere Geschichte, und diesmal vielleicht auch nicht in schwarz-weiß, sondern in Farbe, denn dieser Landstrich wird wegen des leuchtend roten Eisenerzes auch das Land der Roten Erde („Terres Rouges“ oder „Minett“) genannt. Mit dem Bus der Linie 5 von Dudelange nach Kayl, Rumelange und Esch sur Alzette kann man es erkunden. Eigentlich wollte ich es an diesem Nachmittag noch tun, doch angesichts des Schneetreibens habe ich es dann doch gelassen. Aber ich werde sicherlich noch einmal davon berichten, denn der Landstrich und die Menschen hier haben mich in ihren Bann gezogen. Erwähnen möchte ich noch, dass es von Edward Steichen eine zweite Ausstellung gibt: „The Family of Man“, ganz im Norden des Großherzogtums im Chateau von Clervaux. Ihr seht, Luxemburg ist sicherlich mal eine Reise wert.
Linieninfos kompakt: Buslinie 5 im Süden Luxemburgs
[…] und Stahlregion Luxemburgs. Ein Bus mit der Nr. 5 fährt über 10 Kilometer durch die Terre Rouge. Ich habe ihn in Dudelange beim Besuch der Fotoausstellung „The Bitter Years“ entdeckt. Dieses Jahr scheint der richtige Zeitpunkt gekommen, die Busreise fortzusetzen bis zum […]