Wir kurven, ihr flattet – der ÖPNV in Corona-Zeiten – Teil 1: März 2020

Einfach in die Bahn setzen und zum Vergnügen irgendwo hinfahren, ist nicht mehr! In diesem Blogbeitrag erfährst du, wie die Verkehrsbetriebe auf die Corona-Krise reagieren. Welche Maßnahmen haben sie ergriffen? Wie kommunizieren sie? Wie kommt das beim Kunden an? Meine Zwischenbilanz zum ÖPNV in den fünf größten deutschen Städten Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt und in meiner Heimatregion Stuttgart.

Seit dem Freitag, den 13. März 2020 steht die Welt in Deutschland Kopf. Es ist der Tag C0: der Tag, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Bürger appellierte, „alle nicht notwendigen Veranstaltungen abzusagen und auf Sozialkontakte zu verzichten.“ Einher gingen damit in allen Bundesländern eine Reihe von Maßnahmen, die sich auf den ÖPNV auswirken. Heute ist der Tag C18. Mein Rückblick auf den März 2020:

Tag C0 – Freitag, der 13. März
Die vordere Tür bleibt zu – hinten einsteigen
„Bitte beim Fahrer einsteigen und das Ticket vorzeigen“, so hatten wir das über Jahre gelernt. Von heute auf morgen ist Schluss damit. Ab sofort bleibt die erste Tür zu. Zum Schutz der Fahrerinnen und Fahrer sollen die Fahrgäste nun hinten einsteigen! Der Raum hinter dem Fahrersitz wird mit Absperrbändern freigehalten. Auch Fahrscheine gibt es beim Busfahrer nicht mehr. Wir werden gebeten, Tickets vorab an den Automaten, online auf der Webseite oder in den Apps zu erwerben. Wo immer möglich, öffnen und schließen Türen jetzt automatisch.

Die Macher des Hamburger Hochbahn-Blogs werden sich irgendwohin gebissen haben, denn erst ein paar Tage zuvor hatten sie den Blogbeitrag „Warum Busfahrer Denis der Einstieg vorn lieb ist“ veröffentlicht. Dumm gelaufen, aber am 6. März war die Busfahrer-Welt noch in Ordnung, am 13. dann schon nicht mehr.

Tag C5 – Mittwoch, der 18. März
Schluss mit lustig, das Angebot wird ausgedünnt
Weil bundesweit die Schulen schließen, viele von uns im Homeoffice arbeiten oder mit dem Auto zur Arbeit fahren, passen die Verkehrsbetriebe ihre Angebote an:

  1. Die touristischen Angebote und Freizeitbahnen werden eingestellt, d.h. in Frankfurt fährt der Ebbelwei-Express nicht mehr, die Verkehrsmuseen schließen und die Kölner Seilbahn wird Ende März den Betrieb erst gar nicht aufnehmen.
  2. Viele Linien werden auf Sonntags- und Ferienfahrplan umgestellt.
  3. Die Nachtbusse fahren nicht mehr, weil Restaurants, Discos und Bars schließen müssen.
  4. Servicezentren und Fundbüros werden bis auf ein Kernangebot reduziert oder schließen ganz.

Wir lernen, dass der ÖPNV zur „kritischen Infrastruktur“ zählt und jederzeit ein „verlässliches Grundangebot“ sichergestellt wird . Das heißt, die Bahnen und Busse fahren eingeschränkt aber zuverlässig nach einem merkbaren Fahrplan.

So ist das mit der Hygiene und Desinfektion

Und das ist auch die Woche, in der die Hygieneregeln rauf und runter gebetet werden – auch in Bus und Bahn:

Martialisch aussehende Trupps, die in Schutzanzug und mit Atemschutzmaske durch Züge laufen und sie mit Desinfektionsmitteln voll pumpen sieht man in Deutschland nicht. Solche Fotos kenne ich nur aus Singapur, Venedig und Madrid. Einmütig vertreten die deutschen Verkehrsbetriebe die These, dass eine Desinfektion in Massenverkehrsmitteln nicht die Wirkung hat, die den hohen Aufwand rechtfertigt. Sobald die ersten Fahrgäste wieder einsteigen, habe sich die Desinfektion erledigt. Es wird gründlich gereinigt, allenfalls Griffe und Halteknöpfe desinfiziert.

Tag C12 – Mittwoch, der 25. März
Zu voll – die Kunden beschweren sich
Manche Einsparungen waren des Guten zu viel. Am 23. und 24. März beschweren sich in Stuttgart viele Berufspendler, dass die Züge zu voll sind und der Sicherheitsabstand von 1,50 Meter nicht eingehalten werden kann. Dies sei unverantwortlich, machen Betroffene ihrem Unmut Luft. Auf den Facebook-Seiten des Verkehrs- und -Tarifverbund Stuttgart (VVS) und der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) finden sich Kommentare wie:  „…Was mich aber so richtig ankotzt, ist die Verkürzung der Bahnen. Sie sind jetzt voller, Abstand halten ist nicht mehr“. 

Nachjustierungen werden nötig
Zum Schluss schaltet sich der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn ein und ordnet Nachjustierung an. Diese folgt umgehend: Auf den hoch frequentierten Stadtbahnlinien fahren die Züge morgens zwischen 6 und 8 Uhr wieder im 15-Minuten-Takt. Der kaufmännische SSB-Vorstand Mario Laube entschuldigt sich mit persönlicher Videobotschaft auf Facebook und Twitter.

Auch in anderen Regionen bleiben Beschwerden nicht aus. Mein persönlicher Eindruck ist, dass in Stuttgart am häufigsten genörgelt wird, die Kölner etwas relaxter sind und die Berliner Verkehrsbetriebe versuchen, die Lage mit ihrem bewährten „Weilwirdichlieben“-Humor zu entschärfen.

Ganz gut scheint es stattdessen in München zu laufen: die Münchener Verkehrsgesellschaft (MVG) hat ihren „Normal“-Fahrplan weitestgehend beibehalten, in den Sozialen Medien überwiegen die positiven Kommentare. Kurz vor Monatsende kommt dann noch die Nachricht rein, dass die Hochbahn und die Frankfurter Verkehrsbetriebe ebenfalls nachsteuern. Auf Twitter lese ich am 30. und 31. März, dass in Hamburg und Frankfurt wieder mehr  Busse und Züge fahren werden.

Tag C16: Sonntag, der 29. März
Das Gebot der Stunde heißt: die Gesundheit fährt vor
Dafür können wir alle was tun. Der gemeinsame Tenor lautet: #flattenthecurve:

  1. Unnötige Fahrten vermeiden
  2. Reisen auf die Zeit nach 9 Uhr verlegen, Stoßzeiten umgehen
  3. Schlüsselpersonen, wie medizinisches Personal, Polizei oder Mitarbeiter des Lebensmitteleinzelhandels haben Vorrang.
  4. Wer fahren muss, soll den Mindestabstand von 1,5 Meter wahren und
  5. die Hygieneregeln beachten

Der Bahnbabo erklärt in Frankfurt die Regeln

Frankfurt zückt eine Geheimwaffe gegen die Verbreitung des Virus: Es ist der Bahnbabo, Frankfurts beliebtester Straßenbahnfahrer Peter Wirth alias der „Bahnbabo“. Er sieht aus wie der Bruder von Arnold Schwarzenegger, kann aus dem Stand in den Spagat springen und versüßt seinen Fahrgästen die Fahrt mit selbstgetexteten Gedichten. Doch vor allem hat Peter Wirth ein großes Herz und meint es ehrlich mit den Menschen. Zusammen mit der Polizei Frankfurt hat er deshalb auch ein Video gedreht und die „neuen Regeln“ erklärt. Und wenn der Bahnbabo das sagt, wird ihm geglaubt!


Einfach mal DANKE sagen

„Jetzt müsste man einfach mal Danke sagen“, das haben am vergangenen Wochenende viele gedacht. Eine Welle der Dankbarkeit flutet durchs Soziale Netz. Die VGF startet die Kampagne #Frankfurtbrauchteuch, für die „Helden des Gesundheitswesens“ bietet die BVG kostenlose Sonderfahrten für Ärzte, Pflegepersonal und Rettungssanitäter im Minibus „Berlkönig“ an.

Die MVG stellt ihre Mitarbeiter vor und hinter den Kulissen persönlich vor und bedankt sich bei ihnen. Danke sagen auch die VVS und die SSB, die Hochbahn und der HVV und die vielen User im Netz mit Kommentaren und Likes.

Tag C18 – Dienstag, der 31. März
Der Versuch eines Ausblicks
Wie sich die Gesamtlage entwickelt, bleibt abzuwarten. Mir leuchtet es ein, dass die Nahverkehrsunternehmen einen ziemlichen Spagat leisten müssen. Auf der einen Seite sollen sie garantieren, dass zügig und pünktlich zur Arbeit kommt, wer aktuell zur Bewältigung der Krise gebraucht wird. Auf der anderen Seite sind sie Arbeitgeber, haben Krankenstände zu bewältigen und Sorge für die Gesundheit ihres Personals zu tragen. Zum Schutz des Fahrdienstes ersetzen die Kölner Verkehrsbetriebe beispielsweise gerade die Flatterbänder in den Bussen durch Folien.

Fakt ist, dass das Fahrgastaufkommen je nach Verbund zwischen 40 und 80 Prozent gesunken ist. Fakt ist aber auch, dass die Verkehrsbetriebe eine Bringschuld haben und mit entsprechenden Kapazitäten dafür sorgen sollten, dass der Mindestabstand in den Zügen und Bussen eingehalten werden kann. Die jüngsten Nachjustierungen der Verkehrsbetriebe lassen mich hoffen.

Nörgeln war gestern …

An die ewigen Nörgler unter den Fahrgästen appelliere ich, dass sie bitte konstruktiv mitarbeiten. Also die angebotenen Hotlines der Verkehrsbetriebe nutzen und durchgeben, wann und wo, in welchem Zug oder Bus noch zu wenig Platz ist. Das bringt mehr, als sich „ewig und drei Tag“ auf Facebook aufzuregen! Und ja, aus meiner Sicht gibt es jetzt auch Wichtigeres zu tun, als die Rückerstattung von Jahres- und Monatstickets abzuwickeln. Und schwarzfahren empfinde ich gerade jetzt als ziemlich uncool!

Das Wichtigste ist doch, dass wir die Krise gemeinsam gut meistern: Also, bitte passt auf euch auf und bleibt gesund! Und DANKE an alle, die den Betrieb aufrecht erhalten, und DANKE an alle, die weiterhin zuhause bleiben! Wie schreibt doch die BVG in ihrem Tweet am 18. März so schön: „Wir kurven, ihr flattet. Deal?“.
=> Fortsetzung folgt.

Aber bitte mit Maske – der ÖPNV in Corona-Zeiten. Teil 2: April 2020

Fährst du noch Bus und Bahn? Welche Erfahrungsen hast du gemacht? Total leer, zu voll? Ich habe da ganz Unterschiedliches von Bekannten gehört. Hast du persönliche Tipps, die du weitergeben möchtest? Freue mich auf deine Kommentare.

 

 

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