Doreen: „Ich bin doch die Tochter meines Vaters“

Doreen Trittel ist Ostdeutsche und Stasikind. Mit ihrer Kunst macht sie Mut zur Veränderung und spürt Zwischentönen nach.

Wie Doreen Trittel zu ihrer Kunst gekommen ist…  Ich bin mit Doreen im Café Sybille in Berlin verabredet und versuche mich anzuschleichen. Keine Chance… sie hat mich kommen sehen und winkt mir zu: „Ich bin doch die Tochter meines Vaters“. Der Satz sitzt und hat sich mir eingeprägt und zum Nachdenken angeregt. Das war im Sommer 2021 und nun bin ich endlich dazu gekommen, meine Gedanken niederzuschreiben. Denn Doreen ist eine besondere Begegnung an der Linie 5, die ich nicht missen möchte.

Was heiß das „die Tochter des Vaters“? Was meint sie damit? Fühlt sie sich wohl dabei, distanziert sie sich? Auf jeden Fall hat sie darüber nachgedacht… Und der Vater scheint eine entscheidende Rolle in ihrem Leben zu spielen.

Dritte Generation Ost

Doch der Reihe nach. Doreen ist dritte Generation Ost. Das sind die, die die Wende als Kind und als Jugendliche miterlebt haben. Geboren wurde Doreen 1973 in der Prignitz, aufgewachsen ist sie in Berlin-Friedrichshain. Am 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls, ist sie 16 Jahre alt. Zwei Jahre später – mit 18 – verlässt sie das Elternhaus und zieht zum Prenzlauer Berg. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im Saarland lebt sie nun seit vielen Jahren in Berlin-Charlottenburg. Ich kenne Doreen seit 2017. Wir haben uns in einer Bloggerworkshoprunde kennengelernt und sind seit dem in loser ständiger Verbundenheit.

Doreen zeigt mir ihr Ost-Berlin

2021 bin ich in Berlin, weil der U-Bahnhof Museumsinsel eingeweiht wird.  Doreen zeigt mir entlang der Linie 5 ihr Ost-Berlin. Den Kiez in dem sie aufgewachsen ist. Wo sie gewohnt hat, zur Schule gegangen ist und den ersten 3D-Film angeschaut hat. Ich lerne von ihr den Pioniergruß.  Es ist ein kurzweiliger Nachmittag, den wir miteinander verbringen, in diesem Blogbeitrag kannst du ihn nachlesen. Zum Abschluss des Nachmittags fahren wir zum U-Bahnhof Magdalenenstraße und setzen uns auf das Holzpodest vor der ehemaligen Stasi-Zentrale.

Ja, ich bin ein Stasi-Kind

„Stasi“, das waren immer die anderen. Plötzlich ist das ein Teil von mir.
Doreen Trittel

Ihr Vater war einer der 91.000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter. Sie erzählt mir, dass sie als Kind nichts von der Tätigkeit ihres Vaters mitbekommen habe. Erst viel später, so um 2014 geht ihr ein Licht auf. Ein wichtiger Augenöffner sei das Buch „Stasi-Kinder: Aufwachsen im Überwachungsstaat“ von Ruth Hoffmann gewesen. In vielen Äußerungen des Buches erkennt sie eigene Erinnerungen wieder. Es bringt sie zu der klärenden Erkenntnis: Ja, ich bin Ostdeutsche und ja, ich bin ein Stasi-Kind.

Der Vater selbst kommt gar nicht auf die Idee, es ihr selbst zu erzählen. Verletzt und betrogen fühlt sie sich. Ihr wird klar, alle anderen haben es gewusst, nur sie hat es nicht gesehen. Warum hat sie als Kind nichts bemerkt? Sie beginnt sich mit ihrer Familiengeschichte künstlerisch auseinanderzusetzen.

Mit Collagen verarbeitet sie ihre Familiengeschichte

Kunst-Projekte
Mutabor 2017
Die Anderen 2017
Die Ketten meiner Oma 2018
Macht der Erinnerung 2018
Verbundene Spuren 2019
Immer bereit!? 2020/21
unvergleichlich GEMEINSAM 2022
(Auszug, mehr auf hehocra.de)

Doreen findet die Collage als Gestaltungsmittel. Damit lassen sich Emotionen ausdrücken, für die sie noch keine Worte findet, Ängste überwinden und dem Unbewusstem Ausdruck verleihen. Auch indem sie alte Fotos von früher zerreißt, zerstört, übermalt und wieder neu zusammensetzt, geht sie aktiv in die Auseinandersetzung. Und Doreen ist mutig, sie sucht die Öffentlichkeit, spricht das Ungeheuerliche aus und bloggt darüber. Es folgen Ausstellungen, in denen sie ihre ostdeutsche Herkunft und ihre Erfahrungen als Kind eines Stasi-Mitarbeiters thematisiert.

Ein paar Beispiele:

Postkartengrüße aus Ostberlin
Wie viel DDR steckt noch in Berlin? Die Grundlage der einzelnen Papiercollagen bilden originale Ansichtskarten aus der DDR. Einzelne Collagen sind zerkratzt. Darin spiegeln sich der Lauf der Zeit, der Alterungsprozess, aber in ihrer Ausführung auch die Wut über schmerzliche Erinnerungen, die mit dem damaligen politischen und gesellschaftlichen System sowie mit der eigenen Familiengeschichte in der DDR verbunden sind.

Immer bereit
„Immer bereit!?“ beschäftigt sich mit den ostdeutschen Prägungen im Zusammenhang mit den Massenorganisationen angefangen bei den Jungen Pionieren. Die Erziehung zielte darauf ab, „Immer bereit!“ zu sein, der Partei blind zu folgen, dem System zu vertrauen.

Neuordnung fürs Lieblingsshirt
Neuordnung lautet der Titel für mehrere Arbeiten, die radikal in die Veränderung von Erinnerungen gehen. Fotografien, die unangenehme Erinnerungen hervorrufen, werden von der Künstlerin zerstört. Mit dem, was daraus entsteht, gestaltet Doreen etwas Neues. So verarbeitet sie auch die Information, dass ein Lieblingsshirt ihrer Jugendzeit aus der Asservatenkammer des Ministeriums für Staatssicherheit stammte. Ihr Vater hatte es ihr einst von dort mitgebracht und geschenkt.

Der Vater taucht nie direkt in ihren Arbeiten auf. In der Auseinandersetzung mit dem Vater wird ihr auch klar, welche Fähigkeiten sie vom Vater geerbt hat. Fähigkeiten,  die er für die Stasitätigkeit gebraucht hat, sie aber heute ganz anders einsetzt. Und manchmal spielt sie auch damit, wenn sie zu mir sagt: „Anschleichen geht nicht, ich bin doch die Tochter meines Vaters.“

Künstlerin und Impulsgeberin

Doch Doreen bleibt nicht nur bei sich selbst, dazu ist sie – so wie ich sie kennengelernt habe – viel zu empathisch veranlagt. Sie gibt ihre Erfahrungen in Workshops weiter und ermuntert  andere, sich mit ihrer persönlichen Geschichte auseinanderzusetzen, sich Erinnerungen und Prägungen differenziert zuzuwenden. „Im Umgang mit unserer Geschichte, ob persönlich oder historisch gesehen, mit den Prägungen daraus, können wir unglaublich viel lernen“, sagt sie. Wie ihr Collagen geholfen haben, innere Grenzen zu überwinden, kannst du sehr schön im Gespräch von Doreen mit Kathrin Möller im Erzähl-Café (Link Youtube) nachhören.

„Mich interessieren die vielen, verschiedenen Nuancen dazwischen, in denen ich auch Zusammenhänge zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen erkenne.“
Doreen Trittel

Doreen spürt Zwischentönen in der Gesellschaft nach

Doreens Familiengeschichte und ihre Ostprägung sind der Ausgangspunkt und Kern ihrer Arbeiten. Doch auch wer sich nicht explizit mit der DDR oder der Stasi auseinandersetzen möchte, wird von ihren Arbeiten angesprochen. Gefühle wie Angst, Schweigen, Gehorsam und andere „Tabus“, die sie erlebt hat, kommen auch außerhalb des DDR-Regimes vor. In der hessischen Provinz genauso wie in Afghanistan oder im Krieg. Und deshalb sind Arbeiten wie „Schießen für den Frieden“ sehr aktuell und es ist nur konsequent, wenn sie zum Ukraine-Krieg oder ganz aktuell zur Bewegung im Iran Stellung bezieht.

Doreen ist gegen Schwarz-Weiß-Malerei, sie möchte Zwischentöne in die gesellschaftlichen und privaten Diskussionen bringen. Und Doreen ist versöhnlich, sie sucht nach Gemeinsamkeiten, so wie in der Zusammenarbeit „unvergleichlich Gemeinsam“ mit der Künstlerin Susanne Haun.

Weil sie nicht spaltet, sondern versöhnt und Wert auf die Nuancen legt, finde ich ihre Arbeit so wichtig und bereichernd. Und ich bin dankbar für den Mauerfall, denn ohne Wiedervereinigung hätten wir uns vielleicht gar nicht kennengelernt.

Mehr zu Doreens Kunst findest du auf www.hehocra.de

 

 

 

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