„Ich geh wandern“ – Tage 21-22 auf dem HW 5 –
Wald, Magie und Barock in Oberschwaben

Von Biberach bis Winterstettenstadt

Die Tage sind kurz  und das Wetter ist trüb. Kurz vor Weihnachten fahren wir mit dem Zug bis Biberach und wandern noch ein bisschen auf dem HW 5. Auf matschigen Wegen erreichen wir Steinhausen und sind überrascht von dem, was uns der kleine Ort alles beschert: eine gemütliche Unterkunft, ein tolles Abendessen, viel Magie und die schönste Dorfkirche der Welt. 

HW 5
17. Dezember | Tag 21
10,0 Kilometer
neblig
1,0 Grad

Mein Mann hat mich verblüfft. Ja, wirklich, denn irgendwann im Dezember meinte er: „Das wandern mit dir auf dem HW 5 fehlt mir schon“. Innerlich habe ich gejubelt, denn darauf hatte ich gewartet und gehofft, dass wir noch einmal vor Weihnachten losmarschieren können. Am 17. Dezember war es dann so weit. Mein Plan: Alles ohne Auto, nur mit den Öffentlichen und eine Übernachtung zwischendrin.

Mit dem Zug fahren wir nach Biberach

Am Freitag, den 17. Dezember, ist es so weit. Mit dem Interregio-Express fahren wir von Vaihingen an der Enz nach Stuttgart und weiter mit dem Railjet nach Biberach. Mit diesem Zug hätten wir sogar über Bregenz, Innsbruck und Salzburg bis nach Wien fahren können. Mein Fernreiseherz pocht. Doch für uns ist erst einmal in Biberach Schluss. Die Altstadt von Biberach ist sehr schön, was man vom Bahnhof aber nicht unbedingt sagen kann. Weil Ralph das Tragen des Rucksacks erst mal testen wollte und die Tage kurz sind, haben wir noch den Bus mit der Nr. 11 nach Mittelbiberach genommen.

Start der Wanderung in Mittelbiberach

Ab der Haltestelle „Mittelbiberach/Rössle“ wandern wir los. Wir überqueren den Rotbach, passieren das Schloss (in Privatbesitz) und marschieren raus aus dem Ort an einer Schafweide vorbei Richtung Zweifelsberg. Bis nach Steinhausen sind es knapp zehn Kilometer. Das ist nicht allzu viel.

Der Weg führt an der Landstraße entlang und überquert schließlich die K 7555. Auf einer Anhöhe liegt malerisch die kleine Nikolaus-Kapelle vom Zweifelsberg.

Es ist kalt, es ist neblig, es ist matschig…

An der Dautenmühle folgen wir den Wegweisern Richtung Viehhändler und Pferdepension. Anschließend führt der HW 5 in den Wald hinein. Es gibt keine Ruhebank, also vespern wir unsere mitgebrachten Brote auf ein paar Holzstämmen. Wir halten uns nicht lange auf, denn schnell kriecht die Kälte unter die Jacken.

Ja, es ist kalt, es ist neblig, es ist matschig – das ist Oberschwaben im Winter. Aber es ist wunderschön, so wie es ist. Ein sehr einsamer Weg führt uns durch den wunderschönen Schienenwald. Kein Mensch weit und breit. Mir gefällt die Hinweistafel, die Wanderer ermahnt, sich respektvoll gegenüber der Natur und den Tieren zu benehmen. Denn schließlich sei es das Wohnzimmer der Waldbewohner. Traurig stimmt mich, dass ein paar Meter neben dem Schild der Wald als Schuttabladeplatz herhalten muss und eine alte Matratze entsorgt wurde.

Später säumen mächtige Holzstämme den Weg. In den tiefen Fahrrinnen der Waldfahrzeuge sammelt sich das Regenwasser, die Waldarbeiter haben Spuren hinterlassen.

Ein erster Blick auf die Wallfahrtskirche von Steinhausen

Kurz vor Steinhausen weist ein Hinweisschild zu einem Aussichtspunkt. Die 100 Meter Abstecher vom Ferdinand-Buttschardt-Weg lohnen. Eine Bank lädt zum Verweilen ein und es eröffnet sich ein wunderbarer Rundblick über Muttensweiler und Steinhausen. Die Wallfahrtskirche von Steinhausen ragt in den Himmel.

Die Sonne kämpft mit dem Nebel und für einen kurzen Moment sieht es so aus, als ob sie gewinnt. Doch dann gibt sie wieder auf… Der Ausblick auf die „schönste Dorfkirche der Welt“ verabschiedet sich in ein stumpfes Grau-Weiß.

Tagesziel: Landgasthof zur Linde in Steinhausen

Also marschieren wir weiter am Waldrand entlang und nähern uns Steinhausen. Ralph ist froh, dass wir das Etappenziel erreichen. Sein Rücken schmerzt vom ungewohnten Rucksack tragen.

Im Landgasthof zur Linde beziehen wir Quartier und sind überrascht vom modernen Neubau und dem großen Zimmer. Wir machen es uns gemütlich: Es gibt doch nichts Schöneres, als nach einer Wanderung an einem heimeligen Ort anzukommen.

Eine besondere Ausstellung im Wallfahrtsmuseum: Kult, Magie und Rituale

Um 18 Uhr bin ich mit Hansi Schmehle-Knöpfler verabredet. Spontan hatte sie am Telefon zugesagt, die Ausstellung „Kult, Magie und Rituale“ in der Alten Schmiede neben der Barockkirche für mich zu öffnen.

Die Diplom-Psychotherapeutin hat zusammen mit ihrem Mann eine Ausstellung zusammengetragen, die ganz besonders ist. Sie geht der Frage nach, welche Rituale im oberschwäbischen, volkstümlichen, katholischen und heidnischen Glauben gepflegt wurden, um Gutes zu bewirken oder Böses abzuwenden: zum Schutz des Neugeborenen bis zur Taufe, zum Schutz der Braut bei der Hochzeit und bis hin Ritualen, die mit dem Tod und dem Hinübergleiten in ein anderes Dasein verbunden sind. Und dann zieht die Ausstellung Parallelen zu anderen Völkern und Kulturen, blickt nach Afghanistan und Bali oder in den Kongo und findet dort ähnliche oder andere Rituale.

„Rot mag der Teufel nicht und das Flimmern macht die Hexen blind“.

In der Ecke steht eine Wiege mit einer Puppe. Hansi Schmehle-Knöpfler erklärt: „Ein Neugeborenes war – so lange es nicht getauft war – in höchster Gefahr, also schutzbedürftig. Alte Frauen durften es nicht besuchen, denn sie könnten ja Hexen sein. Damit dem Kind, bis es getauft war, nichts passiert, schützte man es mit Amuletten und Häubchen, rasselnden Ketten und Buchsbaumsträußchen. Das war in Oberschwaben bis Anfang der sechziger Jahre so, ähnlichen Schmuck kennen wir aber auch in anderen Kulturen. Sie zeigt auf prächtige rote mit Pailletten bestickte Hauben aus Thailand und Marokko: „Rot mag der Teufel nicht und das Flimmern macht die Hexen blind.“

Es sind ganz unterschiedliche Objekte, die das Sammlerehepaar Schmehle-Knöpfler zusammengetragen hat: religiöse Andenken, Devotionalien, Mariendarstellungen, Wachsarbeiten, Jesuskinder, Votivgaben und auch angsteinflößende Masken. So hängt der Heilige Leonhard neben dem buddhistischen Wächtergott Nioh. Was auf den ersten Blick wie ein Sammelsurium wirkt, folgt einem roten Faden und zeichnet das Leben von der Geburt über Taufe, Erstkommunion und Hochzeit bis zu Krankheit und Tod nach. Wallfahrten und Prozessionen werden natürlich auch thematisiert.

Krippenausstellung in Bad Schussenried

Hansi Schmehle-Knöpfler weiß viele Geschichten zu den einzelnen Objekten zu erzählen und ich bin ihr sehr dankbar, dass ich diese Sonderführung bekomme. Sie hat übrigens auch die bekannte Krippenausstellung im Kloster Bad Schussenried zusammengestellt. Bei einer anschließenden Tasse Tee erzählt sie mir, wie sie im Jahr 2010 mit einer künstlerischen Darstellung der „Heiligen Familie“ in Schweinsgestalt an oberschwäbische Grenzen gestoßen ist und Besuch von der erzkonservativen Piusbruderschaft bekommen hat. Hassmails und anonyme Drohtelefonate gegen sie und ihre Familie bewegten sie schließlich dazu, das Exponat, das als sarkastisch ironische Persiflage auf die biblisch hochstilisierte Rolle der Schweinegrippe als Seuche der Menschheit gedacht war, aus der Krippenausstellung zu entfernen. Und auch heute merke ich ihr beim Erzählen an, wie diese Zeit Spuren bei ihr hinterlassen hat. Wir unterhalten uns noch ein bisschen über Parallelen und  Unterschiede zur aktuellen Pandemie. Es war ein wunderbares Gespräch.

Inzwischen ist es nahezu acht Uhr geworden und Ralph gesellt sich zu uns. Das Abendessen wartet.

Und zum Tagesabschluss ein leckeres schwäbisches Abendessen

In der Gaststube ist jeder Platz besetzt. Der Traditionsgasthof ist für seine gute Küche bekannt. Seit dem Jahr 1889 ist  er im Besitz der Familie Heinzelmann. Küchenchef und Inhaber Bernd Heinzelmann zaubert auch an diesem Abend herrliche Gerichte auf unsere Teller. Zu Rostbraten und schwäbischem Filet mit Spätzle trinken wir Schussenrieder Bier und Wein vom Bodensee und fallen später satt und rundum zufrieden ins Bett.

Gute Nacht Steinhausen!

Die „schönste Dorfkirche der Welt“ ist wirklich beeindruckend

HW 5
18. Dezember | Tag 22
8,0 Kilometer
neblig
1,0 Grad

Ganz gemütlich gehen wir den zweiten Tag an. Lassen uns Zeit mit dem Aufstehen und frühstücken ausgiebig. Die heutige Wanderetappe ist mit acht Kilometern besonders kurz und lässt uns genügend Zeit für die Besichtigung der Kirche. Vorher rufe ich aber noch den Busfahrer an und teile ihm mit, dass wir um 15 Uhr in Winterstettenstadt in den Bus steigen möchten. Ja, samstags funktioniert hier der Bus „on demand“. Ich bin gespannt, ob das klappt.

Ein Blick zur Decke und du erkennst den „Himmel auf Erden“

Jetzt aber zur Kirche, die direkt gegenüber dem Gasthof zur Linde liegt. Und ich finde, dass sie zu Recht den Beinamen „schönste Dorfkirche der Welt“ trägt. Erbaut und ausgestattet wurde sie von den berühmten Baumeistern Dominikus Zimmermann und seinem Bruder Johann Baptist Zimmermann. Die beiden haben auch die weltbekannte Wieskirche in Steingaden erbaut. Die Ähnlichkeit fällt sofort auf, doch ich finde die Wallfahrtskirche in Steinhausen noch schöner, weil  sie nicht ganz so mit Gold überladen ist. Die wundervollen Deckenfreske gelten als Meisterwerke des frühen Rokoko. Wir setzen uns in die Kirchenbank, schauen an die Decke und bestaunen den „Himmel auf Erden“.

Irgendwann reißen wir uns los und verlassen die Kirche. Ralph will gleich weitermarschieren. Doch ich entdecke noch einen Antiquitätenladen gegenüber der Kirche. Also statten wir Frieder Oberle einen Besuch ab und stöbern ein bisschen im Laden. Und siehe da, diese  zwei Wandlampen würden zu unserer Deckenlampe im Esszimmer passen. Wir überlegen es uns. Mitnehmen können wir sie jetzt eh nicht.

Durch den Wald

Ade Steinhausen, der HW 5 führt Richtung Süden aus dem Ort heraus. Wir marschieren am Franzosengrab vorbei wieder in den oberschwäbischen Wald hinein. Beim Blick zurück auf Steinhausen hat der weiße Nebel die Kirche schon verschluckt.

Die Jakobsmuschel weist uns darauf hin, dass wir hier auch auf dem oberschwäbischen Jakobsweg unterwegs sind. Im Wald und Flur ist es heute genauso einsam wie gestern. Schweigend und zufrieden marschieren wir vor uns hin. Und obwohl wir uns Zeit lassen, erreichen wir Winterstettenstadt schon kurz nach zwei.

Winterstettenstadt – hatte im Mittelalter sogar Stadtrechte

Bis der Bus kommt, haben wir noch etwas Zeit. Als Erstes rasten wir am Tisch neben dem Rathaus und essen die Brote. Die Bäckerei mit dem Stehcafé hat leider geschlossen. Dann werfen wir einen Blick in die Dorfkirche, schauen uns das schöne Fachwerk vom Gemeindehaus (Hallersche Hof) an und entdecken die Aufschrift „Landwirtschaftliche Berufsschule“ auf dem Gebäude gegenüber der Haltestelle. Früher war hier mal mehr los, im Mittelalter hatte Winterstettenstadt sogar Stadtrechte, inzwischen ist der Ort in Ingoldingen eingemeindet. Kälte macht sich breit. Jetzt wird es aber ungemütlich. Zum Glück kommt der Bus pünktlich.

Der Bus kommt pünktlich um drei

Wir sind die einzigen Fahrgäste ab Winterstettenstadt. Doch schon an der nächsten Haltestelle steigen Jugendliche ein, die auch nach Biberach wollen. Nach und nach wird es voll im Kleinbus! Unser Busfahrer scheint alle zu kennen. Er ist supernett, und weil er auch am Bahnhof von Biberach warten muss, quatschen wir noch weiter. Erwin erzählt von seinem „Syrer“, den er lieb gewonnen hat, finanziell und freundschaftlich unterstützt, trinken den besten Kaffee von Biberach und zum Schluss spielt er uns noch ein Video vor…  Denn er ist  auch Alleinunterhalter und macht Tanzmusik im Biergarten.

Das war eine kurzweilige Unterhaltung. Tschüss Biberach, da kommt der Regionalexpress nach Stuttgart. Es ist der RE 5 – was sonst?!

Um sieben sind wir schon wieder daheim. Hinter uns liegen zwei wunderschöne Tage, die Weihnachtsvorfreude beschert haben. Ich bin froh, dass wir uns für diese Etappe so viel Zeit gelassen haben. Denn sonst hätten wir nie diese Begegnungen gehabt.

Praktische Tipps zum HW 5 in Oberschwaben

Einkehren und übernachten:
Landgasthof zur Linde in Steinhausen, saisonale Angebote.
Es gibt auch einen kleinen Campingplatz in Steinhausen.

Wallfahrtskirche Steinhausen: Die Wallfahrtskirche ist offen von 8 bis 18 Uhr.
Sonntags finden um 10.15 Uhr Gottesdienste statt.
Pilgerrouten:
Steinhausen liegt am oberschwäbischen Jakobsweg, der von Nürnberg über Ulm, Biberach kommt und weiterführt nach Bad Waldsee und Ravensburg.
Ein weiterer interessanter Pilgerweg ist der Ulrika-Weg, gewidmet der seliggesprochenen Schwester Ulrika, vom Kloster Hegne am Bodensee.

Wallfahrtsmuseum Alte Schmiede:
Zur umfangreichen Sammlung gehören Objekte, die den christlichen Lebenslauf versinnbildlichen, religiöse Andenken, Devotionalien wie Mariendarstellungen, Wachsarbeiten, Jesuskinder, Votivgaben, aber auch Gegenstände des Aberglaubens.
Öffnungszeiten:  nach Vereinbarung; Telefon 07583-4606 oder 2713

An- und Abfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ab Stuttgart:
Bis Biberach oder Bad Schussenried: Railjet oder Interregio Express RE 5, Auskunft Deutsche Bahn
Busverbindung Winterstettenstadt-Biberach: Nahverkehrsverbund Ding, Buslinie 217
Besonders günstig mit Baden-Württemberg-Ticket

In der Nähe: Kloster Bad Schussenried mit Krippenausstellung (noch bis 6. März 2022); Oberschwäbisches Museumsdorf Kürnbach

Der HW 5 im Überblick

Unterwegs auf dem HW5. Im Januar 2021 starteten wir dieses Wanderprojekt auf dem Schwarzwald-Schwäbische Alb-Allgäu Fernwanderweg HW5. Insgesamt sind es 307 Kilometer. Dreiviertel des Fernwanderwegs haben wir gemeistert. Bis zum Schwarzen Grat sind es noch 78 Kilometer. Gerne würde ich ein paar davon im Schnee zurücklegen. Ob das wohl klappt?

Wie es weitergeht, kann ich noch nicht sagen, aber hier geht`s zur letzten Etappe:

Und hier gibt es den Überblick über alle Etappen zum HW5.

  1. Toll! Macht mir Lust, dort zu wandern. Wir sind gestern zufällig dort durch die Gegend gefahren und fanden mehrere spannende Ecken, weswegen ich jetzt ein bisschen recherchiere, wie die Wege und Unterkunftsmöglichkeiten dort sind.

    • Danke, also den Landgasthof zur Linde empfehle ich gerne weiter. Gute Kombi, alte Gaststätte, super Essen, moderne Zimmer. In Steinhausen soll es aber auch einen kleinen Campingplatz geben. Dazu kann ich aber nichts sagen, wir waren später auf dem Campingplatz am Badsee. Der wiederum ist top ist aber schon im Allgäu. Oberschwaben fand ich auch klasse, weil noch nicht so überlaufen und sehr authentisch.

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