Mannheim, Linie 5
Nächster Halt: „Kunsthalle“
Bühne frei – für die Underdogs und Streetdancer, für Newcomer und Vergessene. Die Ausstellung „Umbruch“ der Kunsthalle Mannheim passt so wunderbar in diese Stadt, die selbst voller Veränderung steckt und so vielschichtig ist. Mannheim eben – nicht lieblich, aber lebendig! Wer die Stadt verstehen möchte, plant beim nächsten Städtetrip einen Stop in der Kunsthalle ein.
100 Jahre später: Hier sind die Frauen der „Neuen Sachlichkeit“
Die Ausstellung „Umbruch“ beginnt unspektakulär, beinahe klassisch. An der Wand hängen klein- bis mittelformatige Werke von Künstlerinnen der „Neuen Sachlichkeit“, die 1925 in der legendären Mannheimer Ausstellung nicht beachtet worden sind: Jeanne Mammen, Anita Rée und Hanna Nagel bekommen jetzt endlich den Platz, den sie schon damals neben George Grosz und Otto Dix verdient hätten.
Umbruch, der
grundlegende Änderung, Umwandlung
Quelle: Duden
‚Ok‘, denke ich. Das mag ja wichtig und richtig sein, aber so ganz vom Sockel haut es mich noch nicht.
Performance bringt Bewegung in die Sache …
Doch dann kommt Bewegung in den Saal. Scheinbar aus dem Publikum heraus, kriechen und posieren Menschen vor den Gemälden. Sie tragen Masken, tanzen durch den Raum und verharren einzeln oder in Gruppen vor einem Gemälde und lösen sich später wieder auf. Mit einer Ongoing Performance schlägt die rumänische Künstlerin Alexandra Pirici die Brücke von den Umbrüchen der Weimarer Republik in die Gegenwart. „Re-Collection“ heißt die Arbeit, die sie mit Tänzerinnen und Tänzern aus Mannheim visualisiert. Eigens entworfene Masken vor Mund und Nase verdeutlichen, wie die aktuelle Corona-Pandemie auch in die Kunst vordringt.
Über Rampen und an Baugerüsten vorbei geht es zum zweiten Teil der Ausstellung. Zwei starke Videos zeigen gesellschaftliche Umbrüche und werfen Fragen nach Zugehörigkeit und Akzeptanz auf.
Was wäre wenn… The Republik of T.M.
In „The Republic of T.M.“ verarbeitet der dänisch-irakische Filmemacher Masar Sohail seine migrationsgeprägte Biografie. Dabei lässt er die Hauptfigur Selbstgespräche führen und reflektieren, was wäre, wenn er, als „Outlaw“ die Chance hätte, eine Republik zu regieren. Der Film hat mich gepackt, weil er mit starken Bildern und einer klaren Sprache arbeitet. Er beginnt als Gangsterfilm im Stil von „Scarface“, nimmt dann aber eine unerwartete Wendung und mündet nicht in einen Gewaltexzess.
Pariser Streetdancer tanzen zur Barock-Oper
Im Dunkel des nächsten Raumes überwältigt mich die Wucht der Musik und die Ausdrucksstärke der Tänzer. Das siebenminütige Video des französischen Filmkünstlers Clément Cogitore zeigt Street-Dancer aus den Banlieus von Paris, die „Krump“ zu den Klängen einer Barockoper tanzen. Mit den Underdogs auf der Bühne der elitären Pariser Oper sollen soziale Vorurteile aufgebrochen und Raum neu verhandelt werden. Für den Ausstellungsmacher Johan Holten steht der „Umbruch“ an, Museen neu zu denken, „Wenn wir andere Teile der Gesellschaft erreichen wollen, müssen wir sie auf die Bühne bringen und nicht über sie, sondern mit ihnen arbeiten,“ erklärt Holten leidenschaftlich.
Klang und Skulptur im dritten Teil der Ausstellung
Skulpturen und Installationen bilden das abschließende Kapitel der Ausstellung. Die deutsch-türkische Künstlerin Nevin Aladag lässt uns im „Resonanz-Raum“ über einen Soundteppich aus Quadraten schreiten und schafft Klangkörper, die man sehen und hören kann.
Wie Schweinehälften in der Fleischfabrik baumeln „Mother`s Legs“ von Kaari Upson im Raum. Und die chinesische Künstlerin Hu Xiaoyuan geht der Frage „Was ist Körper, was ist Hülle“ nach und zeigt filigrane Skulpturen, die mit Rohseide bespannt wurden.
Umbruch spannt einen weiten Bogen
Ganz schön viel und ganz schön gegensätzlich, was die Ausstellung „Umbruch“ an Kunst-Stilen zeigt. Erst erschien sie mir sehr konstruiert … Doch weitergedacht komme ich zum Schluss, dass der Mix plausibel ist. Unsere Gesellschaft ist nun einmal sehr vielschichtig und es gibt ein Nebeneinander von unterschiedlichen Kulturen. Mal berühren sie sich und mal nicht. Die Auswahl der Objekte spiegelt das wider.
Es ist Holtens erste Sondershow, die er als Direktor der Kunsthalle kuratiert. Und Holten ist clever genug, alle Abteilungen des Hauses zu berücksichtigen. Im besten Sinne bietet „Umbruch“ ein Erlebnis für die ganze Familie: Für die Mutter, die sich für die Emanzipation der Künstlerinnen interessiert, für den Vater, der Materialien und Klänge liebt und für den Teenager, der eigentlich nicht ins Museum will, sich aber für Videos begeistern kann.
Mein Fazit:
Ein Besuch in der Kunsthalle Mannheim ist allemal lohnenswert. Perfekt, nicht nur für einen Regentag. Die Ausstellung Umbruch ist bis zum 18.10.2020 zu sehen.
Infos: www.kuma.art
Übrigens, auch das, was immer da ist, ist sehr sehenswert.
Hinkommen: Linie5, Haltestelle Kunsthalle
Auch nett – mein Frühstücksgespräch mit Alexandra Pirici
Zufällig haben die Künstler und ich im selben Hotel übernachtet. Und so hatte ich Gelegenheit beim Frühstück mit Alexandra Pirici noch ein paar Worte zu wechseln: Über Kunst, Corona und das Geld. Leider war ihre Performance nur während der Eröffnungswoche zu sehen. Trotz zahlreicher Sponsoren der Kunsthalle, war für weitere Auftritte kein Budget vorhanden. Es gibt auch keine Videos von den Performances, die später eingespielt werden. Das scheint Teil ihres Konzepts zu sein.
*Das Stadtmarketing Mannheim hat meinen Rechercheaufenthalt mit einer Hotelübernachtung unterstützt. Herzlichen Dank dafür.
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