Achtung, die Musik spielt auf – jetzt kommen die Rindviecher!

Brauchtum am HW 5: Mitte September kehrt die Rinderherde von der Bergweide zurück ins Tal

Wengen liegt unterhalb der Wenger Egg Alpe am Schwarzen Grat. Mitte September findet dort der Almabtrieb (Viehscheid) statt. Unter großem Glockengeläut treiben die Burschen die Herde von der Sommerweide zurück ins Dorf. Traditionell tragen die Tiere als Festschmuck Blumenkränze und große Schellen. Ein zünftiges Rahmenprogramm mit Alphornblasen und Bauernmarkt darf beim Brauchtumsfest nicht fehlen!
In diesem Jahr haben wir uns unters Volk gemischt!

Der Schwarze Grat ist mit 1.119 Metern der höchste Berg Württembergs und das Ziel des Fernwanderwegs HW 5. Den sind mein Mann Ralph und ich in Etappen gewandert. Start 2021, Ende September 2023, Infos zur Wanderung.

„Um halb eins sollen die Tiere von der Alpe im Dorf eintreffen“, erzählt uns der Mann von der freiwilligen Feuerwehr, der uns auf dem Parkplatz eingewiesen hat. Jetzt ist es halb zwölf, wir haben also noch etwas Zeit und schlendern die Hauptstraße entlang. Schön ist es in Wengen, die Sonne lacht vom weiß-blauen Himmel. Dahlien, Astern und Sonnenblumen blühen verschwenderisch in den Bauerngärten. Das ganze Dorf ist auf den Füßen, viele sind in Tracht gekleidet. Dirndl und Lederhosen, Filzhüte mit Gamsbart –  hier passt der Look und stört mich nicht – so wie auf dem Stuttgarter Wasen.

Wir werfen einen Blick in die Dorfhalle. Aber da ist noch nichts los, Tische und Stühle, Kaffeegeschirr und Kuchen stehen für den Nachmittag bereit. Nur der kleine Lukas spielt mit den Kuhglocken auf der Bühne.

Kleiner Bauernmarkt bei der Dorfhalle

Alle sind draußen bei den Marktständen, die sich entlang und hinter der Dorfhalle gruppieren. Es ist ein kleiner Bauernmarkt mit rund zehn Ständen.

Gebirgsblütenhonig und hausgemachte Nudeln, Gartenschmuck aus Weide, selbst gestrickte Socken, Wurst vom Reh und dekorative Holzschalen werden zum Kauf angeboten. Zu essen gibts Krautkrapfen, Bratwürste und Leberkässemmel und dazu natürlich Bier. Die Kleinen amüsieren sich beim Streichelzoo, bestaunen Ziegen und füttern Kaninchen. Es ist eine richtige Dorfidylle. Bunte Nudeln und Honig wandern in meinen Rucksack, wir essen Bratwürste und trinken Radler. Dann machen sich die ersten Musiker auf den Weg zur Dorfmitte, ein untrügliches Zeichen, dass die Rinderherde bald kommt. Und so suchen auch wir uns einen Zuschauerplatz am Straßenrand.

Die Musik spielt auf, die Rindviecher kommen!

Der Festzug hat eine feste Aufstellung. Vorne marschiert die Musikkapelle Wengen, dann folgt die junge Älplerin Ramona Steinle mit dem Baby im Leiterwagen. Lautes Glockengebimmel kündigt die Hauptattraktion an: das geschmückte Rind samt Herde. Umringt von jungen Burschen, die versuchen, die Tiere im Zaum zu halten und als Gruppe durchs Dorf zu treiben. Unter dem Blumenschmuck ist der Kopf des Tieres kaum zu erkennen. Das  Kranzgebinde ist ein Zeugnis dafür, dass keinem Tier auf dem Berg etwas zugestoßen ist und alle unversehrt von der Sommerweide heimkehren. „Und der Spiegel auf der Mitte der Stirn soll die bösen Geister vertreiben“, erklärt mir Ramona Steinle später. Den Zuschauern bietet sich ein interessantes Spektakel, denn immer wieder Mal will eines der 130 Schumpen ausbüchsen.

Feierliche Übergabe am Viehscheidplatz

Für Besserwisser:
Alpe = allgäurisch für Alm
Schumpe = weibliches Jungvieh, das noch keine Milch gibt,
Scheidplatz = der Ort, an den die Herde nach dem Alpabtrieb hingetrieben wird, dann auseinander sortiert (scheiden) und schließlich an ihre Besitzer zurückgegeben wird.

Der Zug bahnt sich den Weg die Kemptener Straße entlang bis zum Viehscheidplatz. Auf der kleinen Wiese vorm Nigsthof bilden die Bauern eine Art „stehender Stuhlkreis“ um das zusammengetriebene Vieh.  Der Hirte „scheidet“ – sprich trennt – das Vieh dann aus der Menge und jeder Bauer bekommt sein Vieh zurück. Alphirte Thomas Osterrieder geht reihum. Mit Handschlag und einem Bier besiegeln sie die Übergabe. Der Bauer bringt seine Rinder nun zurück in den heimischen Stall.

Alphornblasen, Kaffee und Kuchen in der Dorfhalle

Das Fest verlagert sich in die Halle. Zum Auftakt tanzen die Kinder, dann spricht der Bürgermeister die obligatorischen Grußworte. Auch er freut sich, dass keinem Rind etwas zu Schaden gekommen ist und mit Seitenhieb auf die grüne Politik merkt er noch an, dass man den Wolfsschutz nicht auf die Spitze treibe müsse, denn „wo die Alpwirtschaft ist, ist kein Platz für den Wolf.“

Anschließend kommen die Alphornbläser auf die Bühne, wir versorgen uns mit Kaffee und Kuchen, mein Stück Johannisbeertorte schmeckt superlecker. Am Abend gibts dann noch Gulaschsuppe und Tanz bei zünftiger Musik. Wahrscheinlich feiern sie noch bis tief in die Nacht. Aber da sind wir schon wieder weg. Jedoch mit dem guten Gefühl, bei einem authentischen Brauchtumsfest dabei gewesen zu sein: Ein Viehscheid, wie die Bauern ihn wollen und alle Dorfbewohner mitgestalten und wo der Alpabtrieb noch nicht zum Schaulaufen für Touristenscharen degradiert ist. Der Viehscheid in Wengen bei Weitnau (Landkreis Oberallgäu) zählt zu den kleinsten und familiären Alpabtrieben im Allgäu. Er findet am dritten Samstag im September statt.

Alpe Wenger Egg

Die Alpe Wenger Egg liegt nur wenige Gehminuten unterhalb des Aussichtsturm „Schwarzer Grat“ auf 1.056 Meter Höhe. Auf der Alpe verbringen 130 Stück Jungvieh ihren Alpsommer. Versorgt werden sie seit vier Jahren von Ramona Steinle und Thomas Osterrieder. Sie kümmern sich auch um die Wanderer und Gäste und reichen aus dem urigen Fenster herzhafte Brotzeiten, Getränke und selbstgebackenen Kuchen. Die Heimat ist den beiden wichtig, deshalb legen sie großen Wert auf regionale und saisonale Produkte.
Öffnungszeiten: Anfang Mai – Anfang Oktober
Hinkommen: Wandern (HW 5), Radeln oder mit dem Auto über eine beschrankte Mautstraße ab Wengen/Gemeinde Weitnau.

 

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